Innovation / Digital Transformation
10 Jahre PI Planning bei Swisscom
Wie alles begann. Wie sich PI Planning entwickelt hat. Ein Long Read.
Innovation / Digital Transformation
Wie alles begann. Wie sich PI Planning entwickelt hat. Ein Long Read.
Montagmorgen, Ende Juni 2014. Etwa siebzig Menschen versammeln sich langsam in einem der grösseren Besprechungsräume in einem Swisscom Office in Zürich. Es gibt Kaffee, Snacks, ein Soundsystem mit Mikrofon und eine Live-Übersetzung ins Englische.
Es ist der Morgen des ersten PI Plannings von Swisscom für den ersten Agile Release Train (ART) innerhalb von Swisscom - den TV ART.
Der Begriff "ART" hat in diesem Fall weniger mit Kunst zu tun, sondern ist die Abkürzung für "Agile Release Train", eine Gruppe von Teams, die nach modernen Management-Methoden arbeiten, den sogenannten "agilen" Prinzipien. Zu diesen Prinzipien zählen starker Kundenfokus, interdisziplinäre Zusammenarbeit, sowie Risikoreduktion durch kontinuierliches Liefern wertvoller Ergebnisse (schon mal ein Zimmer bewohnbar machen anstatt erst das ganze Haus zu bauen und daraus für die nächsten Schritte lernen).
Im TV ART wird Blue TV (früher Bluewin TV oder Swisscom TV) entwickelt: Live TV, TV-Aufnahmen, Video on Demand und vieles mehr von Swisscom, inkl. TV-Box-Hardware und Apps.
Die TV-Teams hatten bereits zwei Jahre zuvor damit begonnen, nach agilen Prinzipien zu arbeiten. Der Aufbau der neuen IPTV-Plattform von Swisscom hatte sich als viel zu unvorhersehbar für klassische, plangesteuerte Projektprozesse erwiesen. Die Innovationsgeschwindigkeit war so hoch, dass wir unsere Pläne kontinuierlich anpassen wollten, ohne das grosse Ziel aus den Augen zu verlieren.
Mit diesen agilen Methoden hatten wir das TV-Produkt bis zur offiziellen Produkteinführung im April 2014 entwickelt. Die Prozesse dazu (Wie planen, entwickeln und testen wir neu in kontinuierlicher Art und Weise? Wie arbeiten wir zusammen?) hatten wir nach und nach erarbeitet.
Und dann stiessen wir auf frühe Versionen des Scaled Agile Framework, SAFe. Ein Prozessmodell für agile Arbeitsweisen mit vielen Teams. Ich war fasziniert: Scaled Agile hatte viele der Organisationsmuster und Planungsansätze strukturiert aufgeschrieben, die auch wir uns selbst erarbeitet hatten.
Darüber hatte SAFe aber noch viele weitere Aspekte berücksichtigt, neue Prinzipien formuliert und die grosse Idee hinzugefügt: Versammle alle Beteiligten in einem Raum, damit sie einen groben Plan für die kommenden 10 bis 12 Wochen erstellen können – gemeinsam: Ein Event namens PI Planning.
Da waren wir also im Juni 2014 - das neue TV2.0 auf dem Markt, die Teams dabei, die Plattform zu skalieren, alle Teile zu stabilisieren und neue Funktionen hinzuzufügen.
Ich moderierte diese zwei Tage zusammen mit meinem damaligen Team. Ich erinnere mich, dass es strukturiert und gleichzeitig leicht chaotisch zuging. Wir schrieben das, was wir in den nächsten Wochen erreichen wollten, auf Haftnotizen. Die Haftnotizen befestigten wir an Pinnwände, die jedes Team in seinem Teambereich hatte. Es war laut in dem Raum, weil alle miteinander im Gespräch waren und miteinander planten – auch und gerade über Teamgrenzen hinweg.
Wir erstellten das erste sogenannte "Program Board" von Swisscom: Das Sichtbarmachen von grösseren Lieferobjekten auf der Zeitachse – und den Beiträgen der einzelnen Teams dafür. Das Program Board war eine grosse Papierwand, die wir dazu wieder mit Haftnotizen füllten. Gab es Abhängigkeiten, verbanden wir die Notizen mit Wollfäden. Dieses papierbasierte Setup hatte seine eigenen Stabilitätsprobleme.
Und ich erinnere mich, als ich zum ersten Mal die Magie von PI Planning spürte: Alle Leute und alle Informationen zusammen in einem Raum zu haben. Menschen, die sich per Handschlag für ihre bevorstehende Zusammenarbeit verabredeten. Das Strategie-Team klärte die Prioritäten, half, den Umfang der geplanten Arbeiten laufend anzupassen und traf hunderte von Entscheidungen, die sonst eine Menge separater Meetings erfordert hätten.
Als wir am Ende das "Confidence Vote" des ersten PI Plannings per Handzeichen durchführten ("Wie zuversichtlich seid ihr, dass wir einen guten und realistischen Plan erstellt haben?"), war ich erleichtert: Wir hatten einen Plan, dem alle zustimmen konnten. Alle hatten sich direkt bereit erklärt, ihr Bestes zu geben, um diesen Plan zu verwirklichen. Alle hatten den Plan selbst erstellt - nicht nur ein Projektmanager mit Microsoft Project. An diesem Tag haben wir unserem Planungsprozess eine Menge Demokratie hinzugefügt.
Fast zehn Quartale lang ab Mitte 2014 blieb PI Planning etwas, das nur der TV ART machte. Die nächsten ARTs begannen erst um 2016/2017 damit.
Schon früh haben wir Lieferanten ans TV PI Planning eingeladen. Diese Partner hatten schon vorher bei Projekten für viele internationale Telekommunikationsunternehmen zusammengearbeitet. Erst bei am Swisscom PI Planning trafen sich viele von ihnen zum ersten Mal.
Im Laufe der Zeit besuchten viele Schweizer Unternehmen das TV PI Planning. Sie wollten verstehen, wie dieser kollaborative Planungsprozess auch ihnen bei ihren komplexen und dynamischen Projekten helfen konnte. Viele haben es danach auch ausprobiert.
Wir reisten auch durch Europa, um mit anderen Telekommunikationsanbietern über unsere Arbeitsweise zu sprechen.
Obwohl wir nie in der Lage waren, offizielle Vergleichsstudien durchzuführen, fanden wir in Gesprächen am Kaffeeautomatien heraus, dass Swisscom in praktisch jedem Aspekt vorne lag: Kundenzufriedenheit, Time to Market, (kleinere) Teamgrösse, Marktanteil, Gewinnspanne. Und in der Regel lagen wir sehr deutlich vorne.
Unsere agilen Planungs- und Arbeitsmethoden haben dabei wahrscheinlich eine Rolle gespielt.
Fast forward ins Jahr 2024. Zehn Jahre nach dem ersten PI Planning läuft die digitale Produktentwicklung bei Swisscom immer noch in 10- bis 12-wöchigen Planungsrhythmen mit mittlerweile über 50 ARTs.
Am Ende jedes PI kommen die Teams zusammen, um zu überprüfen, was sie erreicht haben, um ihre Arbeitsweise zu überprüfen und anzupassen und um den nächsten Zyklus zu planen.
Ich bin immer noch erstaunt über den Wert, den eine gut durchgeführte PI-Planung schafft: Das Tempo der Entscheidungsfindung, das Erreichen einer soliden Abstimmung über einen gemeinsamen Plan, zu dem alle beigetragen haben.
Auch wenn wir grösstmögliche Unabhängigkeit von Teams anstreben sollten, hilft PI Planning dann, wenn sich mehrere Teams koordinieren müssen. Sie erreichen so schneller bessere Ergebnisse.
Und es gibt natürlich auch Schattenseiten.
Ich erinnere mich, dass ich ca. 2018 einmal zu einem "geheimen" PI Planning eingeladen wurde: Die Teams hatten gerade das "offizielle" PI Planning abgeschlossen und mir gesagt: "Das war nur Theater. Wir haben keine Abhängigkeiten mit den Leuten im anderen PI Planning. Das will aber niemand hören. Deshalb machen wir eine zweite Planung mit den Leuten, mit denen wir uns wirklich abstimmen müssen. "Diese" etwas verrückte Situation (manchmal sind auch wir mal ein merkwürdiges Grossunternehmen) konnten wir zum Glück kurze Zeit später beheben.
Und erst kürzlich erzählte mir ein Kollege, dass sie bei ihrem Planning nie die wirklichen Probleme ansprechen würden, weil schlechte Nachrichten nicht akzeptiert würden. Sie würden nur mechanisch ein paar Listen durchgehen. Risiken würden unbeachtet bleiben. Die Konsequenzen kann man sich vorstellen.
PI Planning ist also nicht nur ein Prozess, den man "einfach so" mechanisch durchführen kann. Es braucht eine Kultur des Vertrauens, der Neugier und des Engagements. Sie erfordert eine gesunde Kultur. Diese Kultur sehe ich bei Swisscom – bis eben auf wenige Ausnahmen – jeden Tag und bin davon immer noch begeistert.
Ich bin sehr dankbar, dass ich vor zehn Jahren die Möglichkeit hatte, bei Swisscom mit kollaborativem Big Room Planning zu beginnen. Ich bin dankbar dafür, dass unsere Kultur im TV ART eine ehrliche und offene Diskussion von auch von problematischen Themen zugelassen hat. Das hat sich ausgezahlt, hat Spass gemacht, und das wünsche ich anderen für ihr Arbeitsumfeld.
Werden wir in zehn Jahren immer noch PI Planning machen? Werden wir dann in einem Zustand sein, in dem alles kontinuierlich abläuft und es keine Abhängigkeiten mehr gibt? KI-Agenten, die uns die ganze Arbeit abnehmen? Vielleicht. Und vielleicht macht es dann immer noch Sinn, alle paar Monate zusammenzukommen, um eine gemeinsame Geschichte zu erzählen und gemeinsam Pläne zu schmieden.
Director of Engineering - Data, Analytics & AI
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