Das Core Banking Radar von Swisscom in Zusammenarbeit mit dem Business Engineering Institute St. Gallen (BEI) beobachtet seit 2017 die Systemunterstützung von Banken und analysiert anhand eines umfangreichen Beurteilungsmodells(öffnet ein neues Fenster) die relevantesten Systeme für den Schweizer Markt. In einem Interview tauschten sich Clemens Eckert und Thomas Zerndt anlässlich der Aktualisierung der bereits befragten Systeme über ihre Sicht der Entwicklungen im Kernbankensystemmarkt Schweiz aus.
Text: Christine Popp, Bilder: Swisscom
7. August 2023
Thomas Zerndt: Der aktuelle Markt von Kernbankensystemen ist aufgeteilt, insbesondere für kleinere und mittlere Banken gilt, man hat eines der dominierenden Herstellersysteme, Avaloq ist eines, Finnova ein anderes, man könnte auch Olympic, Finstar, TCS BaNCS oder Temenos nennen, und da tut sich auch nicht viel im Markt, man scheut jeglichen Wechsel. Dann gibt es noch ein paar Ausreisser, wie beispielsweise die Berner Kantonalbank (BEKB) auf IBIS4D oder die Banque Cantonal Vaudoise (BCV), die noch ein altes System basierend auf einem IBM Host (Osiris) hat, und dann gibt es die Grossbanken mit ihren eigenen Systemen. Aber viel mehr gibt es nicht und so ist der Markt stabil.
Clemens Eckert: Ich erlebe auch einen gesättigten Markt. Es gibt keine Welle an Migrationen wie es in den 00er-Jahren der Fall war. Uns erreichen aber dennoch etwa 4-8 Ausschreibungen für Kernbankenplattformen pro Jahr. Nicht in allen Fällen wird eine Entscheidung getroffen, aber in den Fällen, in denen eine Entscheidung getroffen wird, geht es nicht um den Wechsel von einem Kernbankensystem zum anderen, sondern eher um strategische Fragen oder Unzufriedenheit mit dem bestehenden Provider, oftmals aufgrund mangelnder Agilität. In den Fällen, in denen eine Entscheidung getroffen wird, kann sich die Swisscom sehr gut positionieren und gewinnen.
Thomas Zerndt: Das erlebe ich genau gleich. Entweder steht das Wasser bis zum Hals und man muss migrieren oder das System wechseln, und ansonsten verändert man seine Provider-Konstellation, geht beispielsweise aus einer Community hinaus und betreibt mit einem Provider sein Kernbankensystem selbst.
Clemens Eckert: Wir sehen respektable Investitionsvolumen der Hersteller in ihre Kernbankensysteme für den Schweizer Markt. Im Vergleich mit internationalen Systemen können die Schweizer Investitionsvolumen nicht mithalten. Die Weiterentwicklungen reichen aus für eine Evolution, aber sie reichen nicht aus, um technologische oder bankfachliche Revolution zu betreiben und neue Technologien oder Innovationen einzuführen wie Cloud-native, Datenbank-agnostisch oder eine Vielzahl von APIs.
Thomas Zerndt: Das sehe ich ähnlich, überspitzt könnte man sagen, Kernbankenhersteller sind an einem Scheideweg, entweder mache ich auf Kundenzuruf Erneuerung, oder ich mache wirklich den Schritt in die Zukunft, welcher mit noch grösseren Investitionen verbunden ist. Wenn ich auf Kundenzuruf erneuere, dann werde ich nie Leader sein im Markt, sondern hinterher produzieren. Und von den Erkenntnissen her war es so, dass sich die interviewten Kernbankensystemhersteller funktional kaum weiterentwickelt haben, sondern sich insbesondere auf die Erneuerung der bestehenden Funktionalität fokussieren, um technologisch wieder State of the Art zu sein.
Thomas Zerndt: Ich bin überzeugt, dass man den Kernbankenmarkt immer dual anschauen muss, also was machen die Banken, und was machen die Hersteller. Wenn man die Marktentwicklung anschaut, werden sich die Banken und somit auch die Funktionalität der Hersteller zunehmend öffnen. Offene Architekturen und Plattform-Architekturen werden vermehrt en vogue sein und als gängiger Bestandteil eines Banksystems bei jeder Bank Einzug halten. Zusätzlich wird die Kooperation mit Fintechs zunehmen, da man nicht mehr alles vom Kernbankenhersteller direkt beziehen kann, und Banken werden zunehmend auch selbst IT-Kompetenzen aufbauen. Auf der Kernbankenherstellerseite wird die Kooperation mit Fintechs aber auch Neokernbankensystemherstellern zunehmen.
Clemens Eckert: Wenn man Studien anschaut, wie z.B. die im Mai 2023 veröffentlichte des IFZ, dann muss man sagen, dass in den nächsten fünf Jahren relativ wenig Bewegung im Markt zu erwarten ist. Aber alle Banken sagen, sie haben das grosse Bedürfnis nach mehr Flexibilität und wie immer, nach tieferen Kosten. Flexibilität bekommt man relativ gut über APIs, Marktplätze für APIs oder Cloud-Technologien. Ich glaube das werden technologisch die wesentlichen Entwicklungen sein in den nächsten fünf Jahren, die dann genau das ermöglichen, was du gerade skizziert hast, nämlich Zusammenarbeit mit dritten Herstellern, Fintechs, Neobanken usw. Inhaltlich haben wir ein paar grosse Themen vor uns, wie z.B. Instant Payment oder die Umstellung auf SWIFT MX. Ich glaube aber auch, dass die Banken die Ausrichtung auf eine nachhaltige Finanzwelt, wie sie die Taskforce On Climate-Related Financial Disclosure vorgibt, beschäftigen wird.
Thomas Zerndt: Das wird mit Sicherheit so sein. Einen Punkt unterstütze ich, ja, die Banken haben die Erwartung, dass sich die Kosten senken werden. Da glaube ich nicht dran, so wie sich die Architektur und die Öffnung in Zukunft herausstellt, wird die Integration als Kompetenz und der Integrationsbedarf zunehmen, auch beispielsweise im Bereich der Nachhaltigkeit – das treibt die Kosten. Die Integrationskomplexität muss man managen und kann sie nicht wegdiskutieren.
Clemens Eckert: Aufgrund der fehlenden Helvetisierung und der fehlenden Positionsführung für Wertschriftenabwicklung halte ich es für relativ unwahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit Neokernbankensysteme in der Schweiz eingeführt werden. Wenn überhaupt, dann für eine Neobank, die sich auf ein Konto-Karte-Kredit-Angebot fokussiert.
Thomas Zerndt: Da möchte ich teilweise widersprechen, wenn wir die Neokernbanksysteme angeschaut haben, ist erstaunlich, was für innovative Konzepte sich da breitgemacht haben. Ein Beispiel ist die konsequente SaaS Produktion welche Mambu vorschlägt, ein Beispiel ist Ariadne, welches ein Standardisierungs-Werkzeug für Produkte hergestellt hat basierend auf dem Dodd-Frank-Act, ein Beispiel ist die Prozessdurchgängigkeit von Thought Machine, also es gibt ganz viele Beispiele, die noch nicht helvetisiert sind, aber in Teilen, beispielsweise im Partner Management mit wenig Helvetisierungsanstrengung eingesetzt werden können. Die Kollaboration von den Herstellern wie auch von den Banken wird in den nächsten fünf Jahren aus meiner Sicht noch stärker vorhanden sein, weil innovative Konzepte gefragt sind.
Clemens Eckert: Das stimmt, ich würde mich auch sehr freuen, wenn wir in der Schweiz eine Bank sähen, die z.B. Smart Contracts einsetzt, um ihr Produktangebot zu diversifizieren.
Thomas Zerndt: Das wäre ein Beispiel, und darüber hätte man auch eine Standardisierung von Produkten im Schweizer Markt. Das würde dann wieder ermöglichen, auch von Bank zu Bank viel einfacher zu agieren im Sinne des Kunden.
Thomas Zerndt: Wenn man sich zum einen die Funktionalitätsanforderung eines Kernbankensystems für die Schweiz anschaut, dann sind beispielsweise Helvetisierung und Compliance Anforderungen äusserst komplex. Zum anderen ist die Architektur in der Schweiz so, dass die Wertschriftenabwicklung mit dem Zahlungsverkehr und dem Finanzieren häufig integriert angeboten wird. Das ist der eine Teil, den Neobanksysteme aktuell nicht so abdecken. Der andere Teil ist auch die Reife der Neokernbankensysteme. Wenn man sich vorstellt, bis ein Kernbankensystem einigermassen eine Reife hat, da sind 10’000-15’000 Personenjahre an Arbeit notwendig, und diese wurden bei den Neokernbankensystemen einfach noch nicht geleistet. Die Maturität wird fortschreiten und die Kollaborationen werden stattfinden, einfach erst in einigen Jahren.
Clemens Eckert: Ich glaube, in der Schweiz haben selbst Neo-Banken ein Wertschriften-Geschäft. Wenn man sich anschaut, welche Banken gegründet wurden in den letzten Jahren, dann bieten diese fast immer auch Wertschriften-Depots für ihre Kunden an. Und dadurch, dass die Neokernbankensysteme diesen Bereich nicht abdecken können, werden sie es schwer haben in der Schweiz. Ausserdem ist der Schweizer Markt sehr klein und teuer zu erobern, das macht es umsatzseitig wenig attraktiv für die Neokernbankensystemhersteller, in die Schweiz zu kommen.
Thomas Zerndt: Und das zweite Argument glaube ich, das ist ein sehr schlagendes Argument, das haben wir auch gesehen. Wir haben bis zu 400 – 500 Installationen weltweit, aber ein Potenzial von nur wenigen Installationen in der Schweiz. Den Punkt mit den Wertpapier- oder Wertschriftenfunktionalitäten, den sehe ich nicht so, weil wir künftig überall das Konzept der Modularisierung der Architektur haben und das heisst, einzelne Module können hinzugenommen oder abgelöst werden. Somit ist die Integration von Neokernbankensystemen durchaus möglich.
Clemens Eckert: Man müsste einfach ein Wertschriften-Positionsführungs-System parallel zu einem Neokernbankensystem betreiben.
Thomas Zerndt: Genau, das wird in Deutschland ganz normal gemacht, ist überhaupt kein Thema. Das funktioniert. Du kannst die Positionen und Transaktionen einfach abgleichen.
Clemens Eckert: Wir sehen systematische Investitionen bei den bestehenden Kernbankensystemanbietern in der Schweiz und entsprechende Erneuerungsprogramme. Allerdings lassen sich manche technologischen Entwicklungen mit den vorgesehenen Investitionen nicht aufholen oder nachholen, wohingegen sich funktionale Lücken mit der Zeit schon schliessen lassen. Das spricht dafür, dass es irgendwann zu einer Disruption des Schweizer Kernbankenmarktes kommen könnte. Die IFZ-Studie deutet darauf hin, dass das eher nicht in 5 Jahren, aber vielleicht in 10 Jahren der Fall sein kann.
Thomas Zerndt: Ich sehe die Fragestellung «sind die Hersteller denn gewappnet» etwas breiter, weil sie investieren müssen und wie du sagst, sie investieren respektabel. Sie müssen in Cloud-native Technologien, in Modularisierung, in Öffnung und Flexibilisierung der Plattform, Verbesserung der Time-to-Market im Sinne der Banken investieren. Und wenn wir da schauen, ob das Bewusstsein da ist, die Anforderungen an die Mitarbeitenden in diesem Transformationsprozess zu berücksichtigen und die Firma entsprechend neu auszurichten - da tun sich die Hersteller teilweise schon schwer. Das heisst, ich glaube aus konzeptioneller Sicht und aus Initiativsicht sind sie gewappnet, die Banken und die eigenen Mitarbeitenden dabei mitzunehmen ist jedoch eine ganz zentrale Herausforderung. Die Jobprofile werden sich ändern.
Thomas Zerndt: Spannend ist, wenn man mit den Banken spricht, dann gibt es immer eine latente Unzufriedenheit mit dem Hersteller, die nimmt zu, die nimmt ab. Aktuell akzentuiert sich das etwas, und die Lieferfähigkeit der Kernbankensystemhersteller wird viel höher priorisiert, weil man ja offen am Markt agieren möchte im Sinne neuer Funktionalitäten, von Plattformen, von Begleitung der Kunden im Customer Journey. Da müssen die Kernbankensystemhersteller nachziehen und da ist die Zufriedenheit häufig eingeschränkt, respektive die Banken fangen immer mehr an, selbständig Lösungen zu bauen, mit Fintechs und neuen Anbietern zu sprechen, diese in ihre eigene Lösung zu integrieren und sich somit schrittweise unabhängiger zu machen vom aktuellen Kernbankensystem.
Clemens Eckert: Ich kann das bestätigen, die Banken suchen nach Wegen aus dem Lock-in Effekt, den sie bei ihrem Kernbankensystem spüren, sie haben vor allem das Bedürfnis nach mehr Agilität, schnellerer Time-to-Market und niedrigeren Kosten.
Thomas Zerndt: Genau, und das Bedürfnis nach niedrigeren Kosten, das ist 20 Jahre alt und wird sich nicht bewahrheiten. Die Kosten werden bleiben, insbesondere auch, weil die Kompetenz, um Unabhängigkeit zu erreichen, innerhalb der Bank aufgebaut werden muss. Banken werden also zunehmend auch IT-Kompetenz aufbauen.
Clemens Eckert: Ich glaube, eine inhaltliche Herausforderung denen die Banken begegnen werden müssen, ist dass der Kunde eine durchgängige Beratung über alle Kanäle erwarten wird. Also man könnte sich in Zukunft vorstellen, dass ein Kunde beginnt, online mit einem Bank-ChatGPT zu sprechen, das ihn berät, daraufhin setzt der Kunde die Beratung in seinem geschützten eBanking fort, bricht aber an einem bestimmten Punkt ab und geht dann noch in die Filiale und möchte genau an dem Punkt von einem Menschen weiter beraten werden, an dem er online oder auf dem Natel stehen geblieben ist.
Thomas Zerndt: Diese Entwicklung wird sich sicher noch beschleunigen, da bin ich auch überzeugt. Man kann das sogar noch weiterdenken, also dass der Beratungsprozess nicht nur im eigenen Unternehmen, also der Bank, stattfindet, sondern dass da auch andere Unternehmen mit eingebunden werden. Dann sind wir irgendwann beim Embedded Banking, also dass man etwas kauft und die Bankdienstleistung im Sinne von Invisible Payment im Kauf quasi miteingebunden ist. Also man sieht die Zahlung gar nicht mehr und ist somit ganz nah am Customer Journey.
Clemens Eckert: Die Architekturen, in denen wir uns bewegen, sind sehr komplex. Mit jeder Schnittstelle, mit jedem Best-of-Breed-System, das sich eine Bank aussucht oder das sich eine Bank baut, wird die Architektur komplexer. Und wenn für jede dieser Schnittstellen oder jedes dieser Systeme plötzlich zwei Experten vorgehalten werden müssen, die das System betreiben und entwickeln können, dann wird das sehr teuer. Und hier kann ein gut aufgestellter Systemintegrator mit entsprechenden Integrationslösungen und flexiblen Zusammenarbeitsmodellen sehr grosse Unterstützungsleistungen bieten.
Thomas Zerndt: Da möchte ich dir teilweise sicher zustimmen. Wenn die Banken für jedes System etwas aufbauen und beispielsweise zwei Mitarbeitende je Systembereich aufbauen, dann wird das sehr teuer, und das ist glaube ich auch nicht zielführend. Banken müssen aus meiner Sicht in IT-Kompetenz investieren, aber insbesondere müssen sie die eigene Governance sicherstellen, das heisst der Entscheidungsfreiraum bezüglich der Systemausgestaltung muss bei den Banken hoch sein. Und dann gibt es das Zweite: man muss noch vermehrt lernen, mit Partnern zusammenzuarbeiten. Dann kann man nämlich solche Angebote wie ihr auch in Zukunft anbieten werdet, optimal einbinden und nutzen. Aber dann bin ich selbstverständlich einig, mit einem Angebot wie ihr das habt, mit der Servicebündelung von mehreren Systemen, das ist ein differenzierendes Merkmal.
Clemens Eckert: Und ein Element könnte ja sein, dass die Banken sich vermehrt auf gemeinsame Standards einigen, insbesondere die Banken, die sich im Markt eigentlich kaum konkurrenzieren.
Thomas Zerndt: Das Thema des gemeinsamen Standards ist glaube ich ganz entscheidend für den Schweizer Finanzplatz. Und da kann die Swisscom aus meiner Sicht auch eine führende Rolle einnehmen, weil die Swisscom die Marktmacht und das Leadership hat. Das wird der Interoperabilität zwischen den Banken, das heisst dem Datenaustausch zwischen den Banken, viel Vorschub leisten und unterstützen. Das wäre eine gute Sache für die Zukunft.
Business Engineering Institute St. Gallen
Swisscom und das Business Engineering Institute St. Gallen (BEI) pflegen eine langjährige Partnerschaft im Rahmen des Kompetenzzentrums "Ecosystems". Dieses bearbeitet Themen wie Ecosysteme, Digitalisierung, Transformation sowie Fragestellungen rund um die zukünftige Ausgestaltung der Finanzindustrie. Ergänzend zu den Forschungsaktivitäten führt das BEI Projekte zur Gestaltung und Umsetzung innovativer, branchenübergreifender Geschäftsmodelle durch.
Methodik des Kernbankenradars: https://ccecosystems.news/core-banking-radar-methodik/(öffnet ein neues Fenster)