Der Streit um die Massnahmen gegen den Klimawandel tobt. Das Internet der Dinge (IoT) würde helfen, die Diskussion zu versachlichen. Schon heute nutzen Schweizer IoT-Projekte die Umweltdaten sinnvoll für Mensch und Tier.
Text: Hansjörg Honegger, Bilder: Unsplash, Raisa Durandi, Serge Bignens, 21. Mai 2019
Erstmals erschienen: Sonntagszeitung, 19. Mai 2019
Nach dem letzten Hitzesommer sind viele Menschen aufgerüttelt. Nicht nur Jugendliche fordern lauthals Massnahmen gegen den Klimawandel. Doch über das «Wie» gehen die Meinungen auseinander: Radikale Verbote oder freiwilliger Verzicht? Häufig fehlen Informationen, die Zusammenhänge sind komplex und nicht immer auf den ersten Blick durchschaubar. Was wir jetzt brauchen, ist ein besseres Verständnis der Realität. Das geht nur durch eine gezielte Datenerfassung und -nutzung. Die Technologie dazu ist ausgereift und im Einsatz: Das Internet der Dinge (IoT).
«Als Schlüsseltechnologie kann IoT dabei helfen, CO2-Emissionen signifikant zu reduzieren.»
IoT wurde bereits an der Klimakonferenz von Marrakesch 2016 als Schlüsseltechnologie bezeichnet, mit der die weltweite Transformation hin zu erneuerbaren Energien gelingen könne. Auch zwei Studien der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und des US-amerikanischen Think Tanks Carbon War Room kommen zum Schluss, IoT habe das Potenzial, CO2-Emissionen signifikant zu reduzieren. Der Technologieriese Ericsson zeigte bereits 2015 in einer Studie, dass der jährliche CO2-Ausstoss mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien um 15 Prozent reduziert werden könnte.
Warum soll ausgerechnet moderne Technologie helfen, mit dem Klimawandel besser klarzukommen? Die wichtigsten Verursacher der CO2-Belastung sind zwar bekannt, es fehlt jedoch häufig detailliertes Wissen um die Zusammenhänge: Wo und wie stark ist die Belastung zu einem bestimmten Zeitpunkt und was heisst das für die Umwelt? Ein wegweisendes Projekt zur Analyse lokaler Emissionen in der Schweiz bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa liefert seit über drei Jahren spannende Erkenntnisse: 222 vernetzte Sensoren informieren in Echtzeit, wie stark der CO2-Ausstoss beispielsweise in der Stadt Zürich ist, welchen Einfluss die CO2-Aufnahme durch Pflanzen in der Umgebung hat und wie stark diese Aufnahme in einem Hitzesommer reduziert wird. Genau solche Fakten über Zusammenhänge können eine CO2-Diskussion und nachhaltige Massnahmen versachlichen. Doch vor allem geben sie Inputs und Erkenntnisse für neuartige Lösungsansätze, die bis anhin verborgen blieben.
Einer dieser Ansätze findet sich in der Lebensmittelbranche: Verderbliche Nahrungsmittel müssen sowohl beim Transport als auch im Handel stets einer gesetzlich vorgeschriebenen Temperatur ausgesetzt sein und dürfen dabei einen Maximalwert nicht überschreiten. Anstatt manuell die Lager- und Kerntemperatur von Lebensmitteln regelmässig vom Personal messen zu lassen, könnten IoT-Sensoren einerseits die Umgebungstemperatur messen, aber auch die Kerntemperatur des Produkts berechnen. Die Temperaturen schwanken je nachdem, wie oft beispielsweise ein Gefrierfach im Laden geöffnet wird. Mit einem automatisierten Temperatur-Management könnten die Kühlgeräte verhindern, dass die Lebensmittel zu schnell verderben, aber auch dafür sorgen, dass keine unnötige Energie für die Kühlung verschwendet wird. Willkommener Nebeneffekt für die persönliche Gesundheit: bei industriell produzierten Lebensmitteln könnten durch eine optimierte Kühlkette die Zusatzstoffe für bessere Haltbarkeit reduziert, wenn nicht sogar ganz darauf verzichtet werden.
In Echtzeit wissen, was läuft und daraus die richtigen Schritte ableiten: Darum geht es beim Einsatz von IoT. Die optimale Bewässerung von Feldern und Gartenanlagen etwa sorgt für einen tieferen Wasser- und Energieverbrauch. «Versuche haben gezeigt, dass eine sensorbasierte Bewässerungssteuerung den Wasserverbrauch bei gleichem Ertrag bis um die Hälfte verringern kann», stellt Luzius Matile vom Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW fest.
Bodenfeuchte-Sensor-Spezialist und IoT-Pionier Walter Schmidt, CEO von PlantCare
Walter Schmidt, CEO von PlantCare, einem Unternehmen, das nach über 15 Jahren Erfahrung mit herkömmlicher Sensortechnik nun komplett auf IoT umgeschwenkt ist, macht dieselben Erfahrungen: «So genau und grossflächig wie die in den Feldern und Gewächshäusern verteilten Sensoren kann kein Bauer seine Böden kontrollieren. Aus Vorsicht bewässern die meisten Bauern zu stark», sagt er. Die Folgen seien ein geringerer Ertrag und grössere Gefahren für Schädlings- und Pilzbefall sowie für die Auswaschung des Bodens. Schmidt ist ein Pionier und realisierte frühzeitig: IoT-Technologie ist nicht nur gut für die Umwelt, damit lassen sich auch völlig neue Geschäftsmodelle entwickeln. Die PlantCare AG bietet IoT-Lösungen zur optimalen Bewässerung von landwirtschaftlich genutzten Böden, aber auch für Garten- und Parkanlagen, Fussball- oder Golfplätze. Die intelligenten IoT-Sensoren sorgen nicht nur dafür, dass der Bauer oder Betreiber der Grünfläche jederzeit über den Zustand seines Bodens Bescheid weiss ohne direkt vor Ort sein zu müssen; sie helfen auch, massiv Wasser zu sparen – wichtig in Zeiten wie letzten Hitzesommer. Einerseits wird erst dann bewässert, wenn es nötig ist, andererseits verhindern sie Ernteausfälle wegen Trockenheit.
Die Frage bleibt: Entstehen hier nicht einfach neue Energiefresser? Und werden diese Informationen einmal mehr auf Kosten der Datensicherheit generiert? Die Studie der ZHAW entwarnt: Die Energie, die für Sensoren und digitale Übertragungstechnologien aufgewendet wird, ist vernachlässigbar. Die Sicherheitsthematik dagegen hängt sehr stark von den eingesetzten Geräten ab und nicht zuletzt vom Netz selbst: Jenseits des öffentlichen Internets bieten sich verschiedene Netzwerktechnologien, die wie das Low Power Network von Swisscom einen sehr hohen Sicherheitsstandard bei gleichzeitig extrem tiefem Energieverbrauch bieten.
Selbst Forschungsprojekte schätzen den Nutzen von IoT. Die seit einiger Zeit in der Schweiz vorkommende asiatische Tigermücke findet infolge der Klimaerwärmung bessere Bedingungen vor als noch vor einigen Jahren. Die Stechmücken können in Feuchtgebieten überwintern, sofern diese Temperaturen von 0 Grad nicht unterschreiten. Um herauszufinden, ob etwa in unterirdischen Schächten oder Schlammlöchern Populationen von Tigermücken gute Überlebenschancen vorfinden, betreibet die Fachhochschule Südschweiz (SUPSI) zusammen mit Swisscom ein Monitoring mittels IoT-Sensoren. Nicht nur der Wassermangel oder die grosse Hitze setzen Mensch und Tier zu. Allergiker beispielsweise leiden vermehrt unter aggressiverem Pollenflug, wie Peter Schmid-Grendelmeier, Leiter der Allergiestation der Dermatologischen Klinik am Universitätsspital Zürich, erklärt: «Sind Bäume gestresst, kann dies zu einer veränderten Eiweissstruktur der Pollen führen. Dies wiederum kann die Symptome bei Pollenallergikern verstärken.»
«Allergiker könnten mit adäquaten Informationen den Tagesablauf optimieren und ihre Medikation angemessen dosieren.»
Das Problem darf nicht unterschätzt werden: In der Schweiz gibt es rund 1,5 Millionen Pollenallergiker, etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung leiden darunter. Schätzungen gehen von Kosten in der Höhe von 50 bis 250 Millionen Franken pro Jahr für das Gesundheitssystem aus. Die indirekten Kosten durch Müdigkeit, Krankheit oder Arbeitsausfälle belaufen sich nochmals auf rund 1 bis 3,5 Milliarden Franken pro Jahr.
Die Informationen zur Pollenbelastung basieren heute auf Beobachtungen und Erfahrungswerten, die in Modelle einfliessen. Die Prognosen sind trotz allem noch immer rudimentär. Die Pollen werden heute immer noch manuell mittels Mikroskop identifiziert und gezählt. So sind diese Daten bis zu einer Woche verzögert. Dabei wäre eine schnelle und zuverlässige Information enorm wichtig: Allergiker könnten mit adäquaten Informationen ihren Tagesablauf optimieren und ihre Medikation angemessen dosieren.
Dank eines Netzwerkes an Sensoren können gesundheitsrelevante Umweltdaten viel schneller erfasst werden: Das Projektteam von Ally Science rund um das Echtzeit-Pollenmessgerät der Swisens AG
Genau diesen Ansatz verfolgt das Start-up Swisens aus Horw mit seinem neu entwickelten Analysegerät: Nicht nur die Zahl der Pollen wird automatisch gemessen, sondern auch deren Art kann bestimmt werden: Birke, Hasel, Gräser und andere. Die Sensoren sind per Mobilfunk vernetzt und liefern bei Bedarf im Minutentakt aktuelle Informationen.
Eine ähnliche Idee mit einem ganz anderen Ansatz verfolgt das Projekt von Ally Science. Mit Hilfe der Ally-Science-App, entwickelt an der Berner Fachhochschule, erfassen Allergiker ihre Symptome. In Kombination mit den GPS-Daten kann die App relativ schnell die Belastung in bestimmten Regionen ermitteln und die Allergiker informieren. Durch das Mitwirken vom möglichst vielen Probanden werden immer bessere Daten erzeugt.
Ein gemeinsames Projekt von Ally Science und Swisens will nun die beiden Methoden kombinieren und mittelfristig dafür sorgen, dass Allergiker sehr schnell sehr viel genauere Informationen zur Pollensituationen erhalten. Im Rahmen dieses Citizen-Science-Projekts erfassen zwei Messstationen in Biel und Luzern die Pollenbelastung. Diese Daten werden mit den Symptomen verglichen, welche die Allergiker der App nach wie vor anonymisierten melden. Auf diese Weise wird erforscht, wie ein Netz aus IoT-Messgeräten in Kombination mit Symptomerfassung aufgebaut sein muss, um präzise, flächendeckende Prognosen zu erstellen und so die Lebensqualität von Allergikern nachhaltig zu erhöhen.
Die Bewältigung des Klimawandels erfordert konkrete Fakten – nicht nur beim Pollenflug. Das Klima damit zu retten, ist wohl zu weit gegriffen. Doch kann das Internet der Dinge Transparenz schaffen. Die Technologie ist vorhanden und wird sich durch innovative Projekte weiterentwickeln. Die Schweiz steht hier am Anfang. Doch die Chance, das Leben von vielen Menschen in Zukunft ein bisschen einfacher zu machen, wird genutzt.
Das Internet der Dinge wird bereits heute in verschiedenen Szenarien mit Erfolg eingesetzt, um Ressourcen zu sparen und Sicherheit zu gewährleisten:
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