Künstliche Intelligenz
Grosse Firmen erhalten jeden Tag hunderte Mailanfragen. Wer aber beantwortet welche E-Mail? Die Zuteilung ist nicht so banal, wie es den Anschein hat. Swisscom hat Algorithmen entwickelt, welche die ungeliebte E-Mail Triage übernehmen. Die künstliche Intelligenz arbeitet bereits genauer als die manuelle Zuweisung durch Menschen.
Text: Ladina Camemisch, Bilder: © Strandperle, 13.
Anna arbeitet am Helpdesk einer internationalen Firma. Täglich landen hunderte Anfragen in ihrem Postfach. Einen Teil kann Anna direkt beantworten, doch viele Mails leitet sie weiter: An Kundenberater, technische Experten oder ans Invoice Center. Manchmal hat Anna keine Idee, wem sie die Anfrage senden soll. Sie beginnt zu recherchieren und leitet das E-Mail nach Gutdünken weiter. Oft begibt sich eine solche E-Mail auf eine mehrtägige Odyssee, bevor sie zur richtigen Ansprechperson gelangt. Der Kunde wartet mitunter tagelang auf eine Antwort. Zeit ist jedoch ein knappes Gut, für die Kunden wie auch für Anna.
Wie also kann das Unternehmen den Prozess beschleunigen? Mit künstlicher Intelligenz.
In einer Machbarkeitsstudie entwickelte Swisscom gemeinsam mit ihrem Joint-Venture Swisscom Digital Technology (SDT) eine Lösung für die automatisierte E-Mail Triage. Die künstliche Intelligenz erfasst die Inhalte und leitet die E-Mails direkt an den entsprechenden Empfänger weiter, eine manuelle E-Mail Zuordnung ist überflüssig. Die Lösung kann aber noch mehr: Sie anonymisiert vertrauliche Daten, erkennt die Sprache, identifiziert gewisse Schlüsselwörter, heisse Themen oder VIP-Kunden.
Die Machbarkeitsstudie war ein Erfolg – die Erfahrungen aus dem Piloten fliessen nun in die Weiterentwicklung des Systems ein. David Rüfenacht, Product Manager bei Swisscom Digital Enterprise Solutions: «Der Erfolg oder Misserfolg einer AI-Lösung ist meistens auf die beteiligten Personen zurückzuführen und nicht primär auf die technische Umsetzung. Deshalb stelle ich am Anfang jedes Projekts sicher, dass alle am Tisch vom Gleichen sprechen.» Für viele Beteiligte ist AI noch Neuland. Die Erwartungen der Kunden sind teilweise utopisch oder ihre Datenqualität ist nicht ausreichend – doch künstliche Intelligenz steht und fällt mit dem verfügbaren Datenpool.
Um das AI-System mithilfe der sogenannten Supervised Learning-Methode zu trainieren, wurde der künstlichen Intelligenz zuerst ein Set von strukturierten und unstrukturierten E-Mails zur Verfügung gestellt. «Wir haben anhand von bearbeiteten E-Mails einen ersten Algorithmus aufgesetzt und damit das System mit den Grundfunktionalitäten trainiert», erklärt Rüfenacht. Diese Phase dauerte rund einen Monat. Für weitere Verbesserungen haben sich Rüfenacht und sein Team in einem zweiten Schritt auf die Bearbeitung und Klassifizierung der Mails in Echtzeit konzentriert. Um aus den E-Mails Kontextinformationen zum Inhalt und Absender herauszuziehen, haben die Experten fortgeschrittene AI-Technologien eingesetzt, so zum Beispiel Named Entity Recognition, Boosting, Keyword Extraction und Pattern Recognition . Zuletzt haben Mitarbeitende des Unternehmens vier Wochen lang die Resultate überwacht und mit einem Klick bewertet, ob das Mail an die richtige Abteilung weitergeleitet wurde. Die Rückmeldung dieser Mitarbeitenden floss direkt in die Weiterentwicklung des Algorithmus ein und so lernte das AI-System laufend hinzu. Nach nur acht Wochen war die Machbarkeitsstudie bereits abgeschlossen.
Zu Beginn lag die Treffsicherheit der automatischen E-Mail Triage bei 50 bis 60 Prozent. Nach dem Feedback der Mitarbeitenden hat das System eine steile Lernkurve bewiesen und einen Wert von knapp 90 Prozent erreicht. «Damit ist die Zuteilung der E-Mails durch AI genauer als durch Menschen», so Rüfenacht. Die Resultate sind also vielversprechend: Mithilfe der künstlichen Intelligenz hat das Unternehmen seine Beantwortungszeit von Tickets drastisch gesenkt, Betriebskosten und Ausfallzeiten reduziert sowie gleichzeitig die Produktivität gesteigert. Die zusätzlichen Kontextinformationen sind für die Firma ausserdem von grossem Wert.
Aufbauend auf den Erfahrungen der Machbarkeitsstudie hat Swisscom die Lösung zur E-Mail Triage weiter verbessert. Der Auftraggeber ist vom System überzeugt und wird AI fortan zur Unterstützung des Helpdesks nutzen. Für Rüfenacht ist der Fall klar: «Jedes Grossunternehmen sieht sich mit einer kaum zu bewältigenden E-Mail-Flut konfrontiert – egal in welcher Branche es angesiedelt ist. Künstliche Intelligenz kann helfen, diese Flut zu bewältigen.»
Und was ist mit Anna? Sie bekommt nach wie vor viele E-Mails. Doch nun muss sie sich nicht mehr um die Triage kümmern, sondern kann direkt mit der Kundenbetreuung loslegen. Denn sie weiss: Diejenigen E-Mails die bei ihr landen, sind bei ihr an der richtigen Adresse. Und das ist schon die halbe Miete.