Notruflokalisierung bei IP-Telefonie
Notrufe von IP-Firmennetzen konnten lange nicht richtig lokalisiert werden. Mit der «Standort-ID» bietet Swisscom als weltweit erster Dienstleister eine Lösung für dieses Problem an. Helvetia Versicherungen hat die Standort-ID bereits im Einsatz.
Text: Christoph Widmer, Bilder: Daniel Brühlmann, 27. Februar 2018
Die korrekte Zustellung von Notrufen funktionierte bei herkömmlichen ISDN-Leitungen ohne Probleme: Da jede Telefonnummer nur einem einzigen Standort zugewiesen ist, konnten Notrufzentralen eingehende Anrufe mithilfe einer Datenbank genau lokalisieren. Dagegen war die Lokalisierung und somit die Leitweglenkung von Notrufen bei IP-Telefonie lange nicht gewährleistet. Denn IP-Telefonie erlaubt die sogenannte nomadische Nutzung: User können mit derselben Telefonnummer von verschiedenen Geräten und Standorten aus telefonieren. Benötigt wird nur eine Internetverbindung – weshalb Notrufe nicht mehr korrekt zugestellt werden konnten. Ausserdem gingen alle Notrufe eines Firmennetzes am selben Ort ein – ganz egal, von wo aus der Anruf getätigt wurde. «Eindeutige Anrufzuweisungen wie bei ISDN-Anschlüssen waren bei der IP-Telefonie lange nicht möglich», erklärt Martin Wittmann, ICT System Engineer von Swisscom. Für schweizweite Firmennetze musste eine Lösung gefunden werden, wie sich Notrufe eindeutig zurückführen lassen – auch im Zuge der Umstellung auf All-IP.
Aus diesem Grund entwickelte Swisscom die Standort-ID: Alle Standorte, in denen VoIP-Geräte zum Einsatz kommen, werden in einer zentralen Datenbank registriert.
So erhält jeder Firmenstandort eine eigene Standort-ID, die mit den IP-Adressen des Gebäudes verknüpft wird. «Wir ordnen den jeweiligen IP-Bereich einer Standort-ID zu», erklärt Wittmann. «Wenn ein Notruf abgegeben wird, können wir ihn dank der Standort-ID an die nächstgelegene Notrufzentrale weiterleiten und die Adresse und Koordinaten in die zentrale Notrufdatenbank schreiben». Die Notrufzentrale entnimmt die entsprechenden Angaben anschliessend aus der Notrufdatenbank. Swisscom ist der weltweit erste Telekommunikationsdienstleister, der eine Lösung für die korrekte Zustellung von IP-Notrufen anbietet. Da für das einheitliche Routing von VoIP-Notrufen eine technische Standardisierung nötig ist, wird Swisscom mit der Lösung den europäischen Standard für Notruflokalisierung setzen.
«Wenn ein Notruf abgegeben wird, können wir ihn dank der Standort-ID an die nächstgelegene Notrufzentrale weiterleiten.»
Martin Wittmann, ICT System Engineer von Swisscom
So wird die Standort-ID in Zukunft nicht mehr nur von Swisscom, sondern auch von anderen Internet-Dienstleistern eingesetzt. Standards für den Austausch von Notruflokalisierungen aus Telekomnetzen bestehen bereits. „Es wird aber noch Jahre dauern, bis diese reguliert und eingeführt sind“, erklärt Beat Egger, Programmleiter der Notrufsysteme bei Swisscom. Egger rät Unternehmen aber, bereits die nötigen Vorkehrungen zu treffen: «Wählen sie ein Telefoniesystem, das die nomadische Nutzung ihrer Mitarbeiter berücksichtigt und die Notrufe somit richtig vermitteln kann. Je nach Grösse ihrer Firma existieren entsprechende PBX-Lösungen. Ihr Hersteller kann ihnen darüber Auskunft geben.»
Auch wenn die Lösung grossflächig eingesetzt wird, sind ihr Grenzen gesetzt: Mit der Standort-ID können IP-Anrufe von unterwegs nicht korrekt vermittelt werden. «Dem Home Office kann zwar ein Standort zugeteilt werden, so dass es wie ein Firmenstandort behandelt wird», erklärt Egger. «Ist der Mitarbeiter aber irgendwo in der Schweiz unterwegs, verwenden wir nach wie vor den Hauptstandort der Firma für die Vermittlung und Lokalisierung von IP-Notrufen – mit dem Vermerk, dass es sich um einen nomadischen Nutzer handelt.»
Die Standort-ID ist bei Helvetia Versicherungen bereits im Einsatz. Mit rund 80 Agenturen in der Schweiz war auch sie auf eine sichere Notruflokalisierung angewiesen – nicht zuletzt, weil auch ihre Angestellte die Arbeitsorte immer häufiger wechseln. «Da mit der IP-Telefonie Rufnummernbereiche nicht mehr manuell angepasst werden müssen, reduziert sie unseren administrativen Aufwand und senkt Anschlussgebühren», erklärt Jörg Steinbrunner, Corporate IT Operation von Helvetia Versicherungen. «Mit der Standort-ID gehen wir auch sicher, dass alle Notrufe an die richtige Zentrale gelangen.»
Für die Implementierung musste Helvetia Versicherungen zuerst das sogenannte «Device Mobility» einführen. Es erlaubt die interne Lokalisierung aller Geräte mittels IP-Adresse. Da diese nun dynamisch zugeteilt wird und Helvetia stets die Firmenstammnummer «058» verwendet, musste auch der Wählplan entsprechend konfiguriert werden, damit die Notrufzentralen die Anrufe lokalisieren können. Getestet wurde die Lösung über eine neu eingerichtete Testnummer von Swisscom, die bei den eingehenden Anrufen die korrekte Adresse und Telefonnummer mitteilte.
«Mit der Standort-ID gehen wir auch sicher, dass alle Notrufe an die richtige Zentrale gelangen.»
Jörg Steinbrunner, Corporate IT Operation von Helvetia Versicherungen
Helvetia ist sich der Grenzen der Lösung bewusst. Deshalb verbieten sie WLAN-Telefoniefunktionen – zum Schutz aller Angestellten, die ausserhalb des Firmennetzes arbeiten. Da mit der Standort-ID zwar ein Gebäude oder Gebäudekomplex, nicht aber der genaue Arbeitsplatz lokalisiert werden kann, setzen sie zudem eine weitere Lösung ein: «Wir verwenden tagsüber einen internen Notruf», erklärt Steinbrunner. Normalerweise wird dieser zuerst angewählt – und erlaubt es Helvetia, logistische Vorbereitungen für die Hilfskräfte zu treffen. «Zwar haben wir kaum Notrufe», sagt Steinbrunner. «Dank der Standort-ID sind wir aber jederzeit für den Ernstfall gerüstet.»
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