Als Chief Digital Officer (CDO) von Swisscom ist Roger Wüthrich-Hasenböhler am Puls der Innovation. Im Interview spricht er darüber, wie technologische Entwicklungen Unternehmen und auch Swisscom prägen und welchen Einfluss Venture-Kapital und künstliche Intelligenz auf die Schweizer Wirtschaft haben.
Text: Andreas Heer, Bilder: Swisscom
28. April 2023
Vor sieben Jahren war die digitale Transformation das grosse Thema. Unternehmen haben die Wirkung der neuen Technologien erkannt. Es sind disruptive Businessmodelle entstanden und es haben sich Möglichkeiten eröffnet, die es bis anhin nicht gegeben hat. Zum Beispiel Blockchain.
Jahrelang war die Infrastruktur zentral. Und jetzt kommt plötzlich eine dezentrale Technologie auf. Die reale Werte digitalisieren kann, sie handeln und speichern, neue Währungen bietet. Das waren und sind sehr spannende Themen und ein Highlight, wenn man quasi im Auge des Orkans arbeitet.Wie überführt man eine erfolgreiche Firma in diese digitale Welt mit ganz neuen Möglichkeiten? Solche Überlegungen standen im Mittelpunkt der Strategie bei Geschäftsleitung und Verwaltungsrat. Das ist ein Highlight für mich, weil Aufbruchstimmung herrschte, weil Firmen untersucht haben, wie sie ihr Geschäft transformieren und neue Geschäftsfelder erschliessen können.
Meine Rolle hat sich nicht gross verändert. Aber die Dynamik hat sich nochmals beschleunigt. Entwicklungen sind heute Software-getrieben, von der Cloud, in der man sehr viele Daten zur Verfügung hat, von den Möglichkeiten selbstlernender Algorithmen, also Machine Learning und Artifical Intelligence. Ich glaube, das ist eine weitere Welle der Digitalisierung.
Die Geschwindigkeit, mit der sich dieses Thema entwickelt, ist einerseits ein Fortschritt. Aber andererseits kommen wir Menschen gar nicht mehr nach. Wenn man ChatGPT als Beispiel nimmt, so stehen dort gesellschaftspolitische Fragen im Vordergrund: Was kann es, was nicht? Was erfindet es, was ist Realität? Ich glaube, die Thematik der Geschwindigkeit sieht man hier sehr gut.
Da gibt es mehrere Aspekte. Ein Unternehmen ist in der Regel mit Services und Produkten erfolgreich und mit einem Businessmodell unterwegs. Dieses Geschäft muss es so gut wie möglich machen, um Erfolg im Markt zu haben. Damit schafft ein Unternehmen die Grundlage, um die nächsten Schritte zu planen: Was sind die Voraussetzungen, um auch in drei oder fünf Jahren erfolgreich zu sein? Welche Technologietrends sind wichtig, und welche könnten mein Geschäftsmodell bedrohen oder disruptiv sein? Daraus kann ein Unternehmen sein Geschäftsmodell so weiterentwickeln, dass es auch in Zukunft erfolgreich ist. Entscheidend ist, Fachleute für diese Themen zu haben. Das Geschäft wird immer noch von Menschen gemacht. Deshalb ist es zentral, dass man die richtigen Leute im Team hat, dass man Kompetenzen und das Vertrauen der Kunden hat, um aufkommende Technologien zu analysieren und ihren Einfluss zu überprüfen. Das sind die Erfolgsfaktoren, die ich sehe.
«Ein entscheidender Erfolgsfaktor sind die richtigen Leute im Unternehmen, um neue Technologien zu analysieren und zu überprüfen.»
Roger Wüthrich-Hasenböhler
Innovation ist ja kein Selbstzweck, sondern soll das Geschäft weiterbringen. Für mich gibt es zwei Stufen von Innovation. In einer ersten soll Innovation ein Unternehmen wettbewerbsfähiger machen, indem es effiziente Prozesse entwickelt, um das Geschäft so einfach wie möglich zu gestalten. Die zweite Stufe ist die Innovation in der Firma selbst, um neue Kundenservices zu entwickeln, die ein Bedürfnis abdecken und für die Kunden bereit sind zu bezahlen. Also neue Innovationen, die sich kommerzialisieren lassen und eine Win-Win-Situation schaffen: Bei uns bedeutet das ein neues Produkt für die Kunden und neuen Umsatz für Swisscom. Heute machen wir 70 Prozent des Umsatzes mit Produkten, die es vor zehn Jahren noch nicht gegeben hat.
Ein weiterer Aspekt von Innovation ist eine Unternehmenskultur, zu der gehört, sich laufend weiterzuentwickeln. Damit haben wir bei Swisscom eine lange Vergangenheit. Wir haben die Prepaid-Karte erfunden, waren beim Roaming ganz vorne dabei, haben mit «Mobile Connect» als Erste eine Mobilfunk-Datenkarte für Notebooks auf den Markt gebracht. Das sind Innovationen, die aus Swisscom heraus entstanden sind. Aber wir haben auch Herausforderungen, weil die Schweiz klein ist und wir nicht die Möglichkeiten internationaler Techkonzerne haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns auf innovative Möglichkeiten fokussieren, die für uns interessant sind. Innovation sollte auf die Geschäftsziele einzahlen und das Geschäft der Zukunft organisieren.
Heute haben wir ein Innovations-Ökosystem, in dem Start-ups die innovative Rolle übernehmen, weil sie agil und schnell sind. Hier gilt es, Teil dieses Ökosystems zu sein. Da haben wir als Swisscom seit einigen Jahren eine Leaderrolle in der Schweiz. So sind wir nahe an den Trends. Und wir haben mit Swisscom Ventures auch die Möglichkeit, in Start-ups zu investieren. Das ist enorm wichtig. Von den zehn grössten Firmen weltweit sind neun mit Venture Capital finanziert worden. Vor 20 Jahren war es eine. Das hat sich dramatisch geändert. Es zeigt sich auch in den USA und China, wie viel Geld in die Start-up-Szene fliesst.
Wir haben eine strategische Initiative lanciert mit «Switzerland 50». Wir möchten die Schweiz dazu bringen, dass sie bis ins Jahr 2030 gesamthaft 50 Milliarden in Venture Capital investiert. Heute werden pro Jahr etwa 4 Milliarden investiert. Wir möchten mit dieser Initiative mithelfen, die Schweiz bis 2030 als «Deeptech-Nation» zu etablieren und 100’000 Deeptech-Arbeitsplätze schaffen. Dies, indem wir das Schweizer Innovations-Ökosystem dazu bringen, dass es mit uns zusammen den Gedanken einer Deeptech-Nation aufnimmt und alles daran setzt, dass wir dieses Ziel erreichen. Damit wir auch 2030 noch zu den innovativsten Ländern gehören und natürlich auch wettbewerbsfähig bleiben, attraktive Arbeitsplätze haben und so auch einen Teil zur Sicherung des Wohlstands beitragen.
«Im Bankensektor sind die Herausforderungen von neuen Technologien enorm.»
Roger Wüthrich-Hasenböhler
Wir haben bereits viele Themen angesprochen, die den Bankensektor ebenfalls betreffen. Die Digitalisierung oder die digitalen Zunami, die durch viele Branchen gefegt sind, stehen den Banken erst noch bevor. Heute sind Banken erfolgreich, weil sie ein stabiles Businessmodell haben. Das wird sich aber ändern mit den neuen Technologien, mit digitalen Vermögenswerten und Währungen. Die Herausforderung im Bankensektor ist enorm, weil man die neuen Technologien massvoll regulieren muss, damit sie ein vertrauensvolles Geschäft ermöglichen. Das heisst, dass Themen wie Identität, Authentifikation, AML (Anti-Money-Laundering) und KYC (Know your customer) auch im digitalen Raum sauber abgeklärt sein müssen.
Swisscom hat bereits gezeigt, dass sie da mitspielen kann. Ein Beispiel: Unsere Tochtergesellschaft Ajila hat bei einer Kantonalbank einen digitalisierten Kontoeröffnungsprozess umgesetzt, bei dem Kunden ohne menschliches Zutun ein Konto eröffnen können. Die Online-Identifikation erfolgt via Smartphone, ist rechtlich anerkannt und absolut sicher. Das ist eine Innovation. Der Vorteil zeigt sich jetzt mit der Bankenfusion. Im März gab es sechs Mal so viele Online-Kontoeröffnungen wie in den ersten beiden Monaten.
Wir haben eine breite Palette im Bereich «Trust», und wir haben die Vision, «Innovators of Trust» zu sein. Gerade im Bankenumfeld können wir mit unserer Infrastruktur, mit dem Betrieb von Kernbankensystemen, mit unserer Expertise im Bereich dezentralisierte Infrastrukturen und der Sicherheit bei AML/KYC sehr viel bieten.
Wir werden uns intensiv mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzen müssen. Das wird extrem wichtig bei verschiedenen Themen. Schauen wir uns generative AI-Algorithmen wie Chat GPT von Open AI oder Bard von Google mal aus Swisscom Sicht an: Mit einem intelligenten Algorithmus könnte man bei einer Supportanfrage über unseren Chatbot herausfinden, was die Ursache ist. Und in Windeseile Lösungsvorschläge anbieten, die sonst jedes Mal von Neuem manuellen Aufwand und Abklärungen erfordern. Intelligente Algorithmen könnten direkt eine Lösung vorschlagen und vielleicht sogar das Problem lösen, bevor der Kunde es überhaupt bemerkt.Das sind genau die Themen, die ein erfolgreiches stabiles Geschäft irgendwann disruptieren, weil ein Newcomer das Geschäft auf eine komplett andere Art machen wird mit einer besseren Kundenexperience und zu einem Bruchteil der Kosten. Wir müssen rasch Erfahrungen sammeln, damit wir die Chancen sehen, die solche Systeme bieten, aber auch die Gefahren und Risiken. Kompetenz auf diesem Gebiet ist zentral und wichtig.