Die Schweizerische Nationalbank forscht seit mehreren Jahren an Anwendungsfällen im Kontext von digitalem Zentralbankengeld (CBDC)1. Hierbei stehen gegenwärtig Anwendungsfälle für Geschäftsbanken (wCBDC) im Fokus, namentlich der Handel von tokenisierten Assets gegen wCBDC. Das Ziel von Projekt Helvetia ist, Erkenntnisse aus der Integration von digitalem Zentralbankengeld zur Abwicklung von tokensierten Assets innerhalb der Finanzmarktinfrastruktur zu gewinnen2. In diesem Kontext stellt sich für Banken die Frage, ob bestehende Kernbankensysteme (KBS), die hauseigene IT-Infrastruktur oder Prozesse heute einen wCBCD abbilden können. In diesem Artikel gehen wir dieser Fragestellung nach. Als Grundlage wird das Zielbild der SNB aus dem Projekt Helvetia Phase II von 2022 verwendet.
17.06.2024, Dominik Jocham (BEI St. Gallen), Clemens Eckert (Swisscom) 5 Min.
Das Zielbild von Helvetia Phase II ermöglicht den Handel von tokenisierten Assets (z.B. Anleihen) gegen wCBDC. Hierbei werden die grundlegenden Mechaniken aus dem heutigen Swiss Interbank Clearing (SIC)-Setup mit der SIX beibehalten, inkl. Handelszeiten, Valuta-Zeitpunkt oder die Abwicklung über einen zentralen Handelsplatz. Der Geldfluss erfolgt Delivery vs Payment (DvP)3, wobei anstelle von Buchgeld, wCBCD verwendet werden; die Rolle des zentralen Handelsplatzes nimmt die Swiss Digital Exchange (SDX) ein. In KBS werden eigene Einlagen bei anderen Banken (z.B. der Nationalbank oder Korrespondenzbanken) mittels Spiegelkonto geführt. Gleich verhält es sich im SIC: Jede teilnehmende Bank unterhält ein Girokonto bei der SNB, von welchem am Ende jedes Valuta-Tages das Verrechnungskonto im SIC ausgeglichen wird4.
Das Zielbild der Helvetia Phase II nutzt dieses etablierte Verfahren und nutzt zur Abbildung von wCBDC ein weiteres technisches Konto. Ergänzend zum SIC dient die SDX als Abwicklungsplattform für alle wCBDC-bezogenen Zahlungsflüsse, z.B. den Kauf einer tokenisierten Anleihe gegen wCBDC oder Interbank-Zahlungen mit wCBDC. Die Emission von wCBDC findet auf Initiierung der Bank via SNB ebenfalls auf der SDX statt, somit fallen für Banken keine On-Chain-Tätigkeiten wie z.B. die Transaktion der wCBDC auf der Blockchain zwischen den Teilnehmenden, die On-Chain-Reconciliation via Nodes oder die Verwahrung der wCBDC in dedizierten Custody-Lösungen an.
Auf Grund der breiten Nutzung von etablierten Bestandteilen (z.B. Spiegelkonten, SIC, DvP etc.) im Zielbild, besteht aus heutiger Sicht wenig bis kein Anpassungsbedarf am KBS: Alle notwendigen technischen Grundlagen zur Abdeckung der Transaktionen sind bereits heute im Einsatz. Ergänzungen gegenüber heute werden durch die SNB, SIC sowie die SDX den Banken bereitgestellt. Diese Einschätzung wird auch von Anbietern von KBS geteilt:
«Aus Sicht von Finnova kann digitales Zentralbankengeld (wCBDC) ohne grösseren Anpassungsbedarf durch das bestehende KBS bereits heute abgebildet werden. Voraussetzungen sind hierfür, dass die Informationen für Reconciliation von vertrauenswürdigen Drittparteien kommen (z.B. SDX oder SNB) und bestehende Möglichkeiten (z.B. Spiegelkonten) genutzt werden»
Finnova, 27.5.2024
«Wir setzen neue Zahlungssysteme gem. den Anforderungen von Stakeholdern um, d.h. unseren Kunden, Swiss Banking oder SNB. Die bestehenden Lösungen von Ecosystem-Partnern zur Integration von Cryptocurrencies werden sicherlich ein wichtiger Bestandteil sein»
ERI BANCAIRE S.A., 31.5.2024
Ausgehend vom Zielbild Helvetia Phase II finden alle On-Chain-Tätigkeiten bei zentralen Akteuren statt. Darunter zählen auch die Emission bzw. Rücknahme von wCBDC oder die Verwahrung von Beständen in wCBDC.
Umsysteme (z.B. Finastra oder Bottomline für Zahlungsverkehr), welche bereits heute der Bank die Teilnahme am Interbanken-Geschäft via SIC ermöglichen, dürften auch für die Operationalisierung eines wCBDC geeignet sein. Allenfalls ist eine technische Kategorisierungs- und Selektionsmöglichkeit für wCBDC zu schaffen, damit diese systemtechnisch von anderen Währungen (z.B. CHF oder EUR) unterschieden werden können. Auf Grund der Rolle der zentralen Akteure kann davon ausgegangen werden, dass kurzfristig keine weiteren Umsysteme & Schnittstellen benötigt werden, z.B. für die Verwahrung von wCBDC oder für die On-Chain-Reconciliation. Bereits heute kooperieren Schweizer Banken für ein Angebot an Kryptowährungen mit weiteren, zentral agierenden Anbietern wie Krypto-Banken5 für die Abwicklung von On-Chain-Tätigkeiten wie die Verwahrung oder die On-Chain Prüfung der Source of Funds.
Für den Informationsaustausch wird der ISO20022-Standard verwendet, welcher bereits heute für das Interbanken-Geschäft eingesetzt wird. Durch die Abwicklung aller On-Chain-Tätigkeiten durch zentrale Akteure, findet der Informationsaustausch zwischen SIC, SDX & SNB mittels etablierter Formate & auf bekannten Kanälen statt.
Die Grundlegende Annahme des Zielbildes ist, dass die zugrundeliegende Geschäftstätigkeit gleichen Eckpunkten unterliegen wie heute im SIC. Dies umfasst z.B. die Handelszeiten, das Liquiditätsmanagement auf Seiten SNB und der Banken oder dem Valuta-Zeitpunkt zur Zinsberechnung. Dabei wären Blockchain-basierte Lösungen u.a. in der Lage, 24/7/365 betrieben zu werden sowie sind bei entsprechend technischer Ausgestaltung, vollkommen transparent. Sollte das volle Potenzial von wCBDC ausgeschöpft werden, bräuchte es umfangreichen Anpassungen an diesen Prozessen – und den Kernbankensystemen. Ausgewählte Beispiele sind:
KBS sind heute den Grossteil des Tages verfügbar, jedoch ist eine Tagesendverarbeitung (TEV) u.a. für die Berechnung von Zinsen oder der Reconciliation von Transaktionen, zwingend.
Ein 24/7-Betrieb erfordert bei Geschäftsbanken angepasste Liquiditätsstrategien, Treasury-Aktivitäten oder Transaktionsmöglichkeiten, z.B. im Kontext von Repo-Geschäften6. Insbesondere gilt es die unterschiedlichen Systeme & Verfügbarkeiten im Einklang mit der übergeordneten Bilanzbewirtschaftung zu bringen.
Veränderte Betriebszeiten des KBS beeinflussen die Prozesse bei Banken, z.B. im Treasury oder im Zahlungsverkehr. Hingegen können bei einer transparenten Blockchain-Lösung ausgewählte Prozesse deutlich effizienter gestaltet werden, z.B. Arbeitsschritte in der Reconciliation fallen weg bzw. werden auf Grund der hohen Transparenz vereinfacht.
Durch den Einsatz von Smart Contracts können heute semi-automatisierte Prozessschritte automatisiert werden, z.B. Corporate Actions im Kontext von tokenisierten Assets. Folglich entsteht Anpassungsbedarf bei Prozessen oder im Wertschriften-Backoffice der Banken (z.B. Dividendenzahlungen via Smart Contracts).
Abhängig von den gewählten Eckpunkten für die Abbildung von wCBDC ist der Anpassungsbedarf bei heute genutzten Umsystemen, Schnittstellen und Prozessen gering (wie im Zieldesign Helvetia II getestet und in Helvetia III pilotiert7). Wird der eingeschlagene Weg jedoch konsequent weiterverfolgt und die Möglichkeiten von wCBDC ausgeschöpft, wird auf Grund der veränderten Eckparameter Anpassungsbedarf im KBS, in der IT-Infrastruktur, bei Prozessen sowie in der Organisation entstehen.
Clemens Eckert, Head of Core Banking bei Swisscom.
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Seit Ende Mai 2024 werden Wertschriftentransaktionen in Nordamerika (USA, Kanada & Mexiko) innerhalb eines Arbeitstages verbucht8. Durch den Einsatz von Blockchain-Technologie ist aus einer technischen Perspektive die Abwicklung von Wertpapiergeschäften noch deutlich schneller möglich, nämlich mit Atomic Swaps. Hierbei wird der Kauf (Verkauf) des Wertpapieres gegen digitales Geld durchgeführt. Damit verbunden ist ein unmittelbarer Erhalt (Lieferung) des Wertpapiers9.
Ein Atomic Swap kollidiert jedoch mit der heutig gängigen Praxis von Zentralverwahrern, dass wenn möglich Wertpapiergeschäft mittels Netting erfolgen. Netting bedeutet in diesem Kontext, dass Handelsaktivitäten eines Wertpapiers gegeneinander aufgerechnet werden und nur das Delta effektiv abgewickelt wird. Der Vorteil liegt in einer tieferen Komplexität sowie einem deutlich geringerem Settlement-Aufwand, v.a. für Zentralverwahrer und/oder Handelsplätze. Bei einem Atomic Swap wird auf Grund der 1:1-Beziehung Währung-Wertpapier jede Handelsaktivität abgerechnet10. Eine Umstellung auf Atomic Swaps mag jedoch längerfristig effizienter sein, insbesondere wenn weitere Bestandteile einer dezentralen Finanzmarktinfrastruktur (DeFi) verfügbarsind, z.B. Automated Market Maker oder der breite Einsatz von Smart Contracts11.
Aus heutiger Sicht ist der Anpassungsbedarf in der IT-Infrastruktur gering, setzt jedoch gleichbleibende Eckpunkte des Geschäftes voraus, z.B. Handelszeiten, Valuta etc. Die Einführung von wCBDC wird die heutige Finanzmarktinfrastruktur nachhaltig verändern und das Interbanken-Geschäfts beeinflussen. Bei gleichbleibenden Eckpunkten des Geschäftes, z.B. Handelszeiten, Valuta etc., ist der Anpassungsbedarf aus heutiger Sicht gering.
Sobald die Potenziale des Blockchain-basierten wCBDC ausgeschöpft werden, z.B. Intraday-Valutazeiten oder Handelszeiten, wird dies Handlungsbedarf im KBS, den Umsystemen oder den Prozessen einer Bank, auslösen.
Im nächsten Teil der Artikelserie werden die Herausforderungen für die IT-Infrastruktur im Kontext von Stablecoins für Endkunden und tokenisiertem Buchgeld (Buchgeldtoken) behandelt.
1 snb.ch(öffnet ein neues Fenster)
2 Projekt Helvetia(öffnet ein neues Fenster)
3 DvP(öffnet ein neues Fenster)
4 SIC(öffnet ein neues Fenster)
5 Beispielsweise: Amina Bank, Incore oder Sygnum in der Schweiz
6 Repogeschäft(öffnet ein neues Fenster)
7 SNB(öffnet ein neues Fenster)
8 Settlement(öffnet ein neues Fenster)
9 Atomic Swaps(öffnet ein neues Fenster)
10 SIX(öffnet ein neues Fenster)
11 Mehr zum Thema DeFi ist hier(öffnet ein neues Fenster) zu finden