Nanja Strecker, Jury Swisscom StartUp Challenge und Leiterin ESA BIC Switzerland.
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«Bei Schweizer Start-ups steht viel Hightech im Raum»

Sie begeistert sich für die Raumfahrt, ist aber selbst am Boden der Realität geblieben: Nanja Strecker hat sich ganz der Innovation verschrieben und fördert mit dem Business Incubation Centre der ESA Schweizer Hightech-Start-ups. Dieses Jahr sitzt sie erstmals in der Jury der Swisscom StartUp Challenge. Nanja Strecker über Innovation, den Start-up-Planeten Schweiz, und warum man Zürich nicht mit Berlin vergleichen sollte.

Frau Strecker, Sie leiten das Business Incubation Centre (BIC) der European Space Agency (ESA) in der Schweiz. Nun kommt einem beim Stichwort «Schweiz» ja nicht gerade die Raumfahrt in den Sinn. Was hat die Schweiz mit der ESA zu tun?

Die Schweiz ist Mitglied der ESA, dem europäischen Pendant zur NASA. Anfang dieses Jahrtausends eröffnete die ESA das erste Business Incubation Centre in Holland mit dem Ziel, Raumfahrttechnologien auch auf der Erde kommerziell nutzbar zu machen. Umgekehrt sollen innovative Anwendungen am Boden in die Raumfahrt einfliessen. Das BIC in der Schweiz will dazu beitragen, hierzulande Hightech-Arbeitsplätze zu schaffen und weitere Nischen in der Raumfahrttechnologie aus der Schweiz heraus zu besetzen. Die Schweiz hat über die Solarwindsegel der Apollo 11 bei der ersten Mondlandung und Atomuhren hinaus noch einiges für die moderne Raumfahrtindustrie zu bieten.

Welche Rolle spielt das Schweizer BIC für die ESA?

Wir sind mit unserer Struktur und den verfügbaren Möglichkeiten quasi das ESA BIC 2.0 und strategisches Vorzeigemodell für die ESA. Im Unterschied zu den BICs in den anderen Ländern sind wir als virtueller, geografisch verteilter Inkubator aufgestellt. In den zweimonatlichen Treffen im Impact Hub können sich die Start-ups untereinander austauschen, was sehr gut ankommt. Ausserdem gibt es beim ESA BIC 2.0 mit 200’000 Euro mehr Geld für die Start-ups, und wir haben ein ausgesprochen grosses und attraktives Partnernetzwerk welches unseren Start-ups technischen und Business Support offeriert. Dieses wird von den Start-ups sehr geschätzt.

Sie haben unter anderem in den USA und in Deutschland gelebt und gearbeitet und Ihren Doktortitel an der Universität Graz gemacht. Was hat Sie zu Ihrem heutigen Job geführt?

Ja, ich habe in mittlerweile 13 Ländern gelebt und gearbeitet. Ich habe eine leidenschaftliche Neugierde für Neues. Kreativität hat mich schon immer fasziniert. Ich habe keine Angst vor Technik und auch sonst keine Berührungsängste mit technischen Innovationen. Da hat mich sicher mein Vater als Unternehmer im technischen Bereich wie auch mein Studium als Wirtschaftsingenieurin geprägt. Daraufhin habe ich mich während meines ersten Jobs bei einer Unternehmensberatung in Richtung Innovationsmanagement spezialisiert und mich danach als Innovationsmanagerin bei Constellium ganz auf das Thema fokussiert.

Bei meinem jetzigen Arbeitgeber, der ETH Zürich, haben wir uns im Frühjahr 2016 zusammen mit einem tollen Konsortium ums Schweizer BIC beworben und im Herbst darauf den Zuschlag erhalten. Im Januar 2017 sind wir bereits mit den ersten Start-ups gestartet. Meine Innovationserfahrung aus den früheren Jobs, meine Sprachkenntnisse und die Tatsache, dass ich mit Constellium im Innovationspark der EPFL in Lausanne gearbeitet habe, haben da sicher geholfen. Ich war immer offen für Opportunitäten, die sich auf meinem beruflichen Werdegang präsentiert haben – wie eben die ESA-BIC-Bewerbung für die Schweiz.

Nanja Strecker, ETH Zürich und Jurymitglied Swisscom StartUp Challenge

Nun sind Sie also in der Schweiz gelandet. Wie gefällt Ihnen dieser «Start-up-Planet» im Vergleich mit anderen Ländern?

Dank der Hochschulen spielt die Schweiz bei Hightech-Start-ups in der ersten Liga mit, zusammen mit den USA und Israel. Gerade Hochschul-Spin-offs haben hier einen guten Ruf, da entstehen seriöse Start-ups mit guten Erfolgschancen.

Nicht alle Länder haben eine ETH Zürich und eine EPFL Lausanne, aus denen heraus viele Firmen (Spin-offs) entstehen – vor allem die für unser Programm relevanten Hightech- und B2B-Start-ups. Dadurch unterscheidet sich die Schweizer Start-up-Szene beispielsweise von Berlin, einem wichtigen europäischen Start-up-Hotspot, mit dem Zürich immer wieder verglichen wird. In Berlin sind vor allem B2C-Start-ups zu Hause, und wenn technisch, vor allem im Softwarebereich. Wenn schon, müsste man die Schweiz und Zürich mit München vergleichen, das ebenfalls gute Anknüpfungspunkte zu einer sehr renommierten High-Tech Universität hat (TU München).

Danke für die Blumen für die Schweiz. Können Sie diesen Vergleich mit den USA und Israel noch etwas ausführen?

Viele Tech-Gründer in der Schweiz sind eigentliche Nerds – und das bitte nicht abwertend verstehen! Das heisst, sie verstehen ihre Technologie ausgezeichnet. Bei der Technik vertrauen Investoren recht vielem, was von der ETH Zürich und der EPFL Lausanne kommt. Bei Kommunikation, Vermarktung und Verkauf bestehen aber gegenüber Start-ups aus den USA und aus Israel Defizite. Deren Gründer verkaufen sich besser, was auch mit den kulturellen Unterschieden zu tun hat. Technologisch jedoch stehen die Schweizer Hightech-Start-ups den Amerikanern und Israelis in nichts nach.

Dass der Standort Schweiz geschätzt wird, zeigt sich auch darin, dass US-Unternehmen hier investieren und präsent sind – siehe Google, Microsoft und Facebook, um die bekanntesten Beispiele zu nennen.

Sie haben in Innovationsmanagement promoviert. Aber was ist eigentlich Innovation?

Kurz gesagt ist Innovation eine neue Entwicklung, die einen ökonomischen Wert generiert. Das kann ein Mehrwert sein, wie mehr Umsatz oder Profit, oder eine Kostenreduktion. Eine technische Neuerung allein macht noch keine Innovation, wenn dieser Mehrwert fehlt. Und es sind längst nicht nur Start-ups, die innovativ sind. Innovation geschieht auch in etablierten Unternehmen. Diese fokussieren sich vielleicht eher auf schrittweise Entwicklungen und schauen bei signifikanten und disruptiven Innovationen in Richtung Start-ups oder Universitäten wie der ETH Zürich.

Nanja Strecker, ESA BIC, nimmt neu Einsitz in der Jury der Swisscom StartUp Challenge

Wenn Sie beim BIC oder bald in der Jury der Swisscom StartUp Challenge sitzen: Woran erkennen Sie innovative Start-ups?

Meistens hatten wir über irgendeinen Kanal schon vorher Kontakt zu den Start-ups, die sich bei uns bewerben. Dann fragen wir jeweils früh, was innovativ an der Idee ist. Beim BIC sind die Ideen viel zu breit, als dass wir den Innovationsgehalt immer selbst einschätzen können. Oftmals ist die Materie auch sehr komplex. Hierzu haben wir Kontakt zu Experten bei der ESA, den Partnern etc., die die Start-ups und Ihre Innovationen ebenfalls für uns einschätzen. Und wir diskutieren untereinander in der Jury, wo verschiedene Experten vertreten sind, auf deren langjährige Erfahrung im Bereich Innovation und Start-ups wir setzen.

Swisscom StartUp Challenge

Am Donnerstag, 22. August, entscheidet die Jury, welche fünf Schweizer Start-ups aus ursprünglich über 230 Bewerbern mit Swisscom für ein Business Acceleration Programm ins Silicon Valley reisen dürfen. Verschaffen Sie sich einen Überblick über die zehn Finalisten.

Was ist Ihnen bei der Beurteilung von Start-ups besonders wichtig?

Zentral für mich ist das Geschäftspotenzial eines Start-ups und damit dessen Erfolgschancen. Hierbei ist auch wichtig, wie sich das Gründerteam zusammensetzt – personell und fachlich. Das zeigt sich nicht nur auf dem Papier, sondern insbesondere auch beim Pitch vor der Jury und der anschliessenden Q&A-Session.

Zum BIC kommen die Start-ups eher mit technischen Innovationen, die Wirtschaftlichkeit steht etwas im Hintergrund. In unserer Jury haben wir regelmässig Diskussionen über technische Innovationen versus dem Business-Potenzial und der Zusammensetzung des Teams. Wir haben auch schon Start-ups ausgeschlossen, die uns zu wenig innovativ waren oder bei denen uns das Team nicht überzeugt hat.

Worauf freuen Sie sich bei Ihrer Mitarbeit in der Jury der Swisscom StartUp Challenge?

Es ist interessant zu sehen, wie andere Start-up-Förderung machen und Jurys organisieren. Man lernt nie aus und kann am eigenen Programm immer etwas verbessern. Zudem profitieren wir von einem Swisscom Vertreter in unserer eigenen Jury. Das gebe ich gerne zurück. Und ich schnuppere immer gerne Start-up-Luft.

 

Nanja Strecker

Nanja Strecker hat in Innovationsmanagement doktoriertNach ihrem Abschluss als Wirtschaftsingenieurin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem Doktorat in Innovationsmanagement in Graz leitete Nanja Strecker unter anderem die Innovationseinheit «Innovation Cells» des Aluminium-Halbfertigprodukteherstellers Constellium (früher Alcan und Alusuisse) auf dem Innovationspark der EPFL. 2015 übernahm sie an der ETH Zürich die Projektleitung für den Innovationspark Zürich. Seit 2016 leitet sie zusätzlich das ESA BIC Switzerland. Dieses Jahr gehört Nanja Strecker erstmals zur Jury der Swisscom StartUp Challenge.

Zum Titelbild: In ihrer Jugend war Nanja Strecker Roll- und Eiskunstläuferin.

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