Damit die Schweiz international bei der Spitzentechnologie mithalten kann, braucht es mehr Investitionskapital. Wie Dominique Mégret, Head of Swisscom Ventures, die Schweiz als global erfolgreiche «Deeptech-Nation» gestalten will, erläutert er im Interview.
Dominique Mégret hat grosse Pläne für Start-ups und die Zukunft der Schweizer Wirtschaft. Mit 50 Milliarden Franken an Venture-Capital-Investitionen in 5’000 Start-ups sollen bis 2030 100’000 neue Arbeitsplätze entstehen. Damit soll die Schweiz als Deeptech-Nation in Spitzentechnologien weltweit eine wirtschaftliche Führungsrolle einnehmen. Zehn «Moonshots» – ehrgeizige Innovationsprojekte – stellt Mégret in seinem Buch vor. Sie betreffen allesamt Bereiche, in denen die Schweiz bereits über eine erstklassige Forschung verfügt. Dazu gehören etwa Präzisionsmedizin mit massgeschneiderten Anwendungen und der vernetzte Sport, aber auch die Nachhaltigkeit. Der Ansatz besteht darin, die Forschung mit kommerziellen Angeboten zu monetarisieren – und zwar in der Schweiz.
Die dafür nötigen fünf Milliarden Franken Investitionskapital (Venture-Capital, VC) pro Jahr wären deutlich mehr als die Schweiz heute in Start-ups investiert. 2021 waren es drei Milliarden. Utopische Überlegungen des Leiters von Swisscom Ventures? Nein, wirtschaftliche Notwendigkeit, um den Standort Schweiz angesichts der Dominanz US-amerikanischer und asiatischer Techgiganten zu stärken und zu erhalten, wie Dominique Mégret im Interview ausführt.
Dominique Mégret, hat die Schweiz überhaupt eine Chance gegen das Silicon Valley? Wäre ein «Schweizer Google» denkbar?
Kaum, es ist schwierig, im B2C-Bereich mitzuhalten. Dort braucht es sehr viel Geld, um die Technologien zu entwickeln und vor allem, um sie zu vermarkten. Zum Beispiel hat allein der Fahrtenvermittler Uber bis jetzt 30 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Das ist doppelt so viel wie die gesamte Schweiz in den letzten 30 Jahren (17 Milliarden Franken in 2700 Startups mit 29’000 Arbeitsplätzen in der Schweiz). Im B2B-Umfeld dagegen, in Nischen, die auf der wissenschaftlichen Forschung und starkem geistigem Eigentum in Form von Patenten und Know-how aufbauen, haben wir eine Chance. Diesen Bereich nenne ich Deeptech. Da ist es wichtig, die besten Hochschulen zu haben, um mittels Spitzenforschung Technologien auf sehr hohem Niveau zu entwickeln. In diesem Bereich können wir zu den Besten weltweit gehören. Das haben wir bereits gesehen, etwa in der Medizin mit der Basler Actelion, dem erfolgreichsten Biotech-Start-up der Schweiz, das für 30 Milliarden Franken an den amerikanischen Pharmariesen Johnson & Johnson verkauft wurde. Aber auch bei Robotics oder Fintech.
Was braucht es, damit sich diese «Deeptechs» wie zum Beispiel Ecorobotix global durchsetzen können?
Ecorobotix (Schweizer Start-up, das mit Technologien wie AI und 5G den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft um gut 90 Prozent reduzieren kann; die Redaktion) ist ein gutes Beispiel. Wenn dieses Unternehmen skalieren kann, könnte es weltweit Probleme in der Landwirtschaft lösen helfen. Dazu braucht Ecorobotix aber Investitionen für eine europäische oder globale Geschäftstätigkeit. Und hier haben wir in der Schweiz ein Problem. Früher dauerte es etwa 20 oder 25 Jahre, um mit selbstfinanziertem organischem Wachstum und Schulden an die Weltspitze zu gelangen. Heute können Wachstumsfirmen innert fünf Jahren Hunderte, wenn nicht Milliarden an Venture-Capital vor allem in angelsächsischen Ländern finden. Und entwickeln sich damit schneller als alle anderen. Bei diesem Wettlauf haben wir nicht dieselben Chancen. Hierzu würden wir mehr Investitionskapital benötigen.
In der Schweiz fehlt es also an Venture-Capital – Sie reden von rund 5 Milliarden pro Jahr. Woher soll dieses Geld kommen?
Derzeit kommen rund 80 Prozent des Venture-Capitals von internationalen Investoren. Es wäre gut, wenn ein grösserer Anteil von Schweizer Investoren käme. Denn so finanziert die Schweiz zwar die wissenschaftliche Forschung, kann aber nicht vom Wachstum und der Wertschöpfung dieser Unternehmen profitieren, weil der Profit aus den Investitionen an die internationalen Investoren fliesst.
Normalerweise investieren erfolgreiche Unternehmer in die nächste Generation. Das Silicon Valley hat es so gemacht und ein Ökosystem aufgebaut, bei dem eine Generation die nächste schon in einer frühen Phase unterstützt. Das braucht es auch in der Schweiz, und zwar im viel grösseren Stil als heute. Wir müssen den Entwicklungsprozess von Wachstumsfirmen beschleunigen.
Wieso hat es die Schweiz bis jetzt nicht geschafft, das Investitionsvolumen zu vergrössern?
Das Volumen wächst schon, seit zehn Jahren etwa 30 Prozent pro Jahr, von 300 Millionen auf 3 Milliarden im Jahr 2021. Aber wir sind auf sehr tiefem Niveau gestartet, mit 25 Jahren Rückstand auf die USA. Aber unser Anteil am weltweiten Markt für Investitionskapital ist gleich geblieben bei 0,5 Prozent und in den letzten drei Jahren leicht gesunken.
Was passiert, wenn die Schweiz nicht genügend Venture-Capital aufbringt?
Dann haben wir keine genügend starke Position in neuen Märkten, insbesondere in digitalen. Europa besitzt nur zwei Prozent der digitalen Wirtschaft – damit meine ich die kumulierte Marktkapitalisierung der «Big Tech» –, im Vergleich zu den 83 Prozent der USA. Eine starke Position wäre extrem wichtig, weil dieser Markt die Zukunft ist. Dazu gehören zum Beispiel die Halbleiterindustrie, die gesamte Informatik und Telekommunikation und generell das Internet.
Doch wir verlieren nicht nur auf diesem Gebiet. Die digitalen Player revolutionieren angestammte Industriezweige wie die Automobilbranche, den Energiesektor oder die Landwirtschaft. Venture-Capital-finanzierte Start-ups disruptieren souveräne Sektoren, die einst ein staatliches Monopol waren, wie Raumfahrt (SpaceX) und Bildung (Coursera). Die Europäer müssen unbedingt ihr eigenes Innovations-Ökosystem weiterentwickeln, um ihre Technologie- und Datensouveränität zu verbessern.
Ich würde sogar sagen, dass technologische Innovation unerlässlich ist, um unsere Demokratie im Kampf gegen autokratische Systeme zu bewahren. Selbst wenn sich letztere dem liberalen Kapitalismus öffnen, fällt es ihnen schwer, ein kreatives Umfeld zu schaffen, das auf freiem Denken basiert, und ein ausreichend dynamisches unternehmerisches Ökosystem.
Wir können daher nur gewinnen, wenn wir Unternehmer unterstützen. Aber wir müssen wählerisch sein und dürfen keine Ressourcen für rein spekulative Aktivitäten verschwenden. Humane- und Kapitalressourcen müssen sich auf die Entwicklung grundlegender Technologien (Essentialtech) konzentrieren, die zur Lösung der grossen Probleme für die Menschheit und den Planeten beitragen. Das ist eine spannende Herausforderung für Swisscom und für die Schweiz!
Deeptech Nation
Das Buch von Dominique Mégret, Head of Swisscom Ventures, wirft einen Blick in die Vergangenheit von Schweizer Tech-Unternehmen in verschiedenen Branchen. Vor allem aber entwirft der Autor ein Bild der Zukunft und zeigt auf, wie die Schweizer Wirtschaft dank «Moonshots» in einem Hightech-Umfeld an der Weltspitze mithalten kann. Denn die Alternativen dazu sind wenig erfreulich.
Dominique Mégret, Deeptech Nation, 320 Seiten, erhältlich auf Deutsch, Französisch und Englisch, 29 Franken