Viele Wissensarbeitende verbringen mehr Zeit in Meetings, als ihnen lieb ist. Das ist oft wortwörtlich kontra-produktiv und auch nicht zufriedenstellend. Einfache Lösungen funktionieren aber in den wenigsten Fällen. Einen weitreichenden Ansatz zur Besserung kann das «Personal Agility System» bieten.
Was passiert, wenn während einer Woche alle Meetings abgesagt werden? Die Produktivität steigt und die Kommunikation verlagert sich in asynchrone Kanäle, wie die «Get Stuff Done»-Woche bei der Automatisierungsanbieterin Zapier gezeigt hat. Ein ähnliches Resultat zeigte ein Experiment bei Microsoft Japan, noch vor der Corona-Pandemie: Während eines Monats arbeiteten die Mitarbeitenden nur an vier Tagen pro Woche, und Meetings durften maximal 30 Minuten dauern. In der Folge stieg die Produktivität um 40 Prozent, gemessen an den vorher definierten Zielen.
Diese Beispiele zeigen, dass weniger Meetings machbar sind. Aber wie kommen sitzungsgeplagte Menschen dorthin? Der Weg erschöpft sich nicht in ein paar Tipps, wie sich Meetings effizienter und kürzer gestalten lassen. Es braucht grundlegende Veränderungen in der Gestaltung des Arbeitsalltags. Peter Stevens, langjähriger Scrum-Coach und Entwickler des «Personal Agility Systems» (siehe Box), berät Menschen, die ihren privaten oder geschäftlichen Alltag verändern möchten. Er kennt das Problem aus seiner Arbeit: «Ich habe Klienten, deren Arbeitswoche zu zwei Dritteln aus Meetings besteht und zu einem Drittel aus dem Beantworten von E-Mails», sagt er. «Daneben müssen sie aber noch ihre Arbeit erledigen.» Die logische Folge sind Überstunden, Stress und Unzufriedenheit.
Das Multitasking-Problem von Meetings
Manche Meetings sind ineffizient und wenig nützlich. «Viele Unternehmen könnten 20 Prozent der Sitzungszeit für produktive Arbeit nutzen, indem sie solche Meetings eliminieren», beobachtet Peter Stevens. Das käme insbesondere Führungskräften zugute, die mehr Zeit für produktive – und befriedigende – Arbeit hätten.
Doch auch sinnvolle Sitzungen verursachen negative Multitasking-Effekte. Wie jede andere Störung, reissen uns Meetings aus unserem Flow und wir müssen uns mit einem ganz anderen Thema beschäftigen. Nach der Sitzung folgt vielleicht wieder ein neues Thema, darauf die nächste Sitzung usw. Die meisten kennen die Folgen: Nach einem Morgen voller Meetings und Wechsel sind wir bereits am Mittag ausgelaugt und haben trotzdem das Gefühl, nichts erledigt zu haben.
So sind wir die ganze Zeit daran, von einem Thema ins nächste zu wechseln und uns neu einzudenken. Das braucht Zeit und Energie. Die gleichzeitige Beschäftigung mit verschiedenen Themen – also Multitasking oder Task Switching – lässt aufgrund der Wechsel unsere Produktivität deutlich sinken. Genauso wie die Zufriedenheit im Job. Das zeigen verschiedene Studien. Eine übersichtliche, englischsprachige Zusammenfassung bietet der US-amerikanische Verband der Psychologen.
Ein naheliegender Ansatz wäre, sich während der produktivsten Phase des Tages Zeitblocker im Kalender einzutragen. So liesse sich Zeit für fokussiertes Arbeiten gewinnen, neudeutsch auch «Deep Work» genannt. Doch damit kommen wir zur eigentlichen Hürde auf dem Weg zu weniger Meetings und mehr Produktivität. Bei der Terminplanung sind wir oft fremdbestimmt. Anlässe «von oben» übersteuern unsere Tagesplanung. Meetings mit mehreren Teilnehmenden, die ebenso volle Agenden besitzen, verlangen, dass wir uns anpassen. Und je mehr Termine unser Kalender ausweist, umso schwieriger wird es, Blocker zu setzen.
Mit dem Personal Agility System die Meeting-Kultur verbessern
Zur Hilfe kommen in dieser Situation Methoden aus dem agilen Projektmanagement. «Personal Agility System» nennt Peter Stevens seinen Ansatz, mehr Zufriedenheit im Beruf und ganz allgemein als Mensch zu finden. Er zeigt mit diesem System, wie agile Methoden – zum Beispiel kleine Schritte, die Reflektion des Erreichten – helfen, ein Ziel zu erreichen. Denn dieses steht am Anfang. Wer unter zu vielen Meetings leidet, möchte vordergründig weniger Sitzungen. Doch das Anliegen dahinter lautet vielleicht: «Ich möchte die Zeit statt in Meetings lieber in die Weiterentwicklung meines Produkts investieren.» Damit lässt sich ein konkretes Ziel formulieren, beispielsweise: «Ich möchte 40 Prozent meiner Arbeitszeit in die Produkteentwicklung investieren.»
Von solchen Veränderungen profitiert auch der Arbeitgeber, wie Peter Stevens bei seinen Beratungen häufig erfahren hat: «Eine zufriedene Person ist motivierter bei der Arbeit und damit auch produktiver.» Sprich: Diese Person wird ihre Ziele eher erreichen.
Als Kompass auf dem Weg zu diesem Ziel dient der Kalender der letzten Woche. Eine thematische Analyse der Meetingstunden zeigt, ob jemand auf dem Weg zu seinem Ziel ist. Oder ob er Kurskorrekturen vornehmen muss. Beispielsweise, indem er eine Sitzung durch eine andere Kommunikationsform ersetzt.
Das Personal Agility System (PAS)
Das von Peter Stevens entwickelte Modell geht von der Feststellung aus, dass Zeit unsere wichtigste Währung ist. Deshalb sollten wir sie für Tätigkeiten ausgeben, die uns wichtig sind. Ziel ist es, mehr Zufriedenheit und Sinnhaftigkeit («Purpose») im Leben oder bei der Arbeit zu finden. Personal Agility unterstützt Menschen auf dem Weg zu diesem Ziel mit Leitlinien und Werkzeugen. Im Zentrum steht der Dialog, auch in Form von Selbstreflexion. Dabei nutzt PAS Methoden aus agilen Frameworks wie Scrum. Trotz des Namens eignet sich der Ansatz auch für Unternehmen und Abteilungen, die Schwierigkeiten haben, ihre Ziele zu erreichen.
Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Personal Agility Institute oder im kürzlich erschienenen, englischsprachigen Buch «Personal Agility: Unlocking Purpose, Alignment, and Transformation». Es beschreibt das System anschaulich mittels vieler Fallbeispiele aus dem Privat- und Geschäftsleben und eignet sich als Einstiegshilfe.
Bei fremdbestimmten Terminen lassen sich solche Veränderungen nur umsetzen, wenn alle Beteiligten mitziehen. Unternehmen, die bereits flexibel arbeiten und digitale Kommunikationsmittel wie Microsoft Teams nutzen, sind hier im Vorteil. Sie sind es sich eher gewohnt, dass Informationen und Aufgaben via Teams kommuniziert werden. Das ist sich auch Peter Stevens bewusst: «Weniger Meetings durchzuführen benötigt oftmals eine Veränderung der Firmenkultur.»
Zu einer solchen Kultur gehört unter anderem, die verfügbaren Kommunikationskanäle zweckmässig zu nutzen. Einige Meetings lassen sich vielleicht durch eine asynchrone (nicht gleichzeitige) Diskussion in einem Chatkanal ersetzen, wie das Zapier in der «Get Stuff Done»-Woche gemacht hat. Oder ein Informationsaustausch erfolgt via E-Mail, Intranet oder Gruppenchat. Wichtig ist, dass alle Beteiligten die Gelegenheit haben, sich mit solchen Kommunikationsformen anzufreunden.
Erste Schritte zu weniger Meetings
Den meisten Menschen fällt es einfacher, Veränderungen in kleinen Schritten anzugehen. Das gilt auch für Veränderungen bei der Unternehmens- oder zumindest Meetingkultur. Erste Schritte können Sie dort machen, wo Sie Einfluss haben, eventuell gemeinsam im Team. Und das ist auch der Abschnitt auf dem Weg, wo Tipps zu produktiven Meetings hilfreich sind.
Tipps für weniger Meetings oder weniger Meetingzeit
- Verkürzen Sie die Sitzungszeit, beispielsweise von 60 auf 45 Minuten.
- Ersetzen Sie ein Meeting durch eine asynchrone Kommunikation über Ihren Chatkanal oder eine Information per E-Mail.
- Sitzungsbeginn nur zu geraden oder ungeraden Stunden: Das gibt Ihnen Pufferzeit zwischen zwei Meetings.
- «Pufferzeiten» von Outlook nutzen: Diese Outlook-Funktion sorgt dafür, dass zwischen zwei Meetings immer eine Pufferzeit von mindestens fünf Minuten liegt.
- «Office Hours» festlegen: Definieren Sie Bürozeiten im Kalender, während derer Sie für einen kurzen Austausch erreichbar sind. Diese Massnahme funktioniert am besten, wenn sie im gesamten Team oder abteilungsweit festgelegt wird.
- Meetingfreie Tage bestimmen: Legen Sie – im Team oder im Unternehmen – einen bis zwei Tage fest, an denen keine (interne) Meetings stattfinden (oder nur fakultative). Sollte das ein unrealistisches Ziel sein, beginnen Sie mit Halbtagen.
- Wiederkehrende Meetings hinterfragen: Prüfen Sie, ob Ihre Teilnahme an regelmässigen Sitzungen wirklich erforderlich ist. Wenn nicht, sagen Sie ab.
- Nur notwendige Personen einladen: Beschränken Sie den Teilnehmerkreis auf wenige, wichtige Personen, die etwas zum Ziel des Meetings beitragen. Andere Mitarbeitende können Sie in Outlook allenfalls als «optionale Teilnehmende» einladen – die absagen dürfen.
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