Die Industrie spart mit «Just in Time» in Produktionsprozessen Kosten und steigert die Effizienz. Lässt sich dieser Ansatz auch auf das Zeitmanagement einer digitalisierten Arbeitswelt übertragen, oder ist das bloss eine Ausrede für Menschen, die immer alles auf den letzten Drücker erledigen?
Viele fremdbestimmte Aktivitäten im Tagesablauf erschweren das eigene Zeitmanagement. In dieser Situation agieren viele Menschen nach dem Prinzip «Just in Time»: Sie arbeiten mehr oder weniger impulsgesteuert und erledigen diejenigen Aufgaben, die sie gerade für dringend halten.
Der Begriff «Just in Time» beschreibt in der Industrie vereinfacht gesagt die Idee, dass die nötigen Produktionsfaktoren zur richtigen Zeit in der richtigen Menge am richtigen Ort verfügbar sind – nämlich exakt dann, wenn sie benötigt werden. Die Nachfrage bestimmt zu jeder Zeit die Produktion, bei der nichts auf Vorrat hergestellt wird und es weder Wartezeiten noch Leerläufe gibt. Dass das auch in der Industrie selten ohne kleine Puffer klappt, wollen wir hier mal im Hinterkopf behalten.
Was «Just in Time» beim Zeitmanagement bewirkt
Diese Impulssteuerung kann man im übertragenen Sinne mit der Nachfrage im oben genannten Just-in-Time-Beispiel vergleichen. Ist die Nachfrage gross genug – zum Beispiel, wenn ein Abgabetermin naht –, investiert man kurzfristig sehr viel Energie in die Bewältigung dieser Aufgabe. Alles andere wird zurückgestellt.
Das ist die Folge davon, dass man in der langen Zeit davor nicht die Musse oder die richtige Stimmung hatte, um diese Aufgabe geplant anzugehen. Oder man liess sich immer wieder durch andere Aufgaben ablenken, die dringender und wichtiger erschienen. Doch nun ist der Druck so gross, dass es nun einfach sein muss. Und siehe da, plötzlich geht das Ganze scheinbar ganz leicht von der Hand. Wie ist ein solches Just-in-Time-Verhalten nun insgesamt zu bewerten?
Mögliche Vorteile:
- Drucksituation setzt Adrenalin frei, das einen konzentriert arbeiten lässt.
- Effizienter Umgang mit Ressourcen (man trödelt nicht herum).
- Lösungen sind meist auf den Punkt.
- Ein schnelles Erfolgserlebnis kann beflügeln («quick wins») und einem zeigen, dass man es noch kann – so wie früher, vielleicht während des Studiums, als Nachtschichten an der Tagesordnung waren.
- Gewisse Dinge erledigen sich von alleine, wenn man sie lange genug liegen lässt.
- Imagegewinn: Diese Person hat viel um die Ohren, liefert aber, wenn es wichtig ist.
Mögliche Nachteile:
- Es werden aus Zeitdruck oft naheliegende und weniger differenzierte Lösungen bevorzugt.
- Andere Dinge bleiben liegen, bis auch dort der Druck entsprechend hoch ist.
- Keine Zeit, in verschiedenen Situationen und aus verschiedenen Perspektiven am Problem zu arbeiten.
- Es sind aus Zeitmangel oft kein Vier-Augen-Prinzip und keine Korrekturen mehr möglich, was die Fehleranfälligkeit erhöht.
- Ungesund (oft mit Nachtschicht und Mangelernährung gekoppelt).
- Imageproblem: Diese Person ist überlastet und hat ihr Zeitmanagement nicht im Griff.
«Feuerwehrübungen» können selbst bei gut organisierten Menschen ab und an nötig sein. Aber unter ernsthaften Kriterien ist «Just in Time» kein sinnvoller Ansatz für das gesamte Zeitmanagement.
Was Zeitmanagement von der Industrie lernen kann
Trotzdem lohnt sich ein Blick auf die positiven Aspekte des «immer alles auf den letzten Drücker»-Ansatzes. Wenn man ihn mit den Erkenntnissen aus der Industrie vergleicht, lassen sich daraus ein paar Schlüsse für die tägliche Arbeit ziehen.
Just in Time in der Industrie | Just in Time im Zeitmanagement | |
Steuerung | Über eine Software, welche alle Schnittstellen im gesamten Produktionsprozess koordiniert. | Über ein Termin- und Aufgabenverwaltungssystem (z.B. Outlook), das alle Tasks koordiniert. |
Arbeitsart | Für einen kontinuierlichen Bedarf an Produkten, Materialien etc., die in Bezug auf Ihren Einsatz kaum Schwankungen aufweisen. | Für wichtige und dringende Arbeiten denkbar, die ein klares Ziel haben, und bei denen der Ressourceneinsatz geplant werden kann. |
Arbeitsinhalte | Qualität, Quantität, zeitlicher Einsatz und Schnittstellen zu vor- und nachgelagerten Arbeitsschritten sind klar definiert. | Aufgabe, Länge der Aufgabe, Pufferzeiten, Prioritäten etc. müssen klar definiert und mit anderen Aufgaben abgestimmt sein. |
Puffer | In Form von kleinen Lagern und Reservezeiten nötig, um auf Lieferengpässe reagieren zu können. | In Form von Zeitinseln nötig, um andere wichtige und dringliche Aufgaben nicht zu beeinträchtigen. |
Kontrolle | Qualitätskontrolle via Fehlzeiten, Ausschuss etc. | Qualitätskontrolle durch Einhaltung von Planzeiten und Output-Messung. |
Quellen und weiterführende Literatur
Scherler, P., Di Giusto, F. u.a.: (2014). Irrtum Zeitmanagement? Vom Versuch, in einem stark fremdbestimmten Umfeld nachhaltig mit der Ressource Zeit umzugehen. Zürich: Versus Verlag.
Waibel, R., & Käppeli, M. (2015). Betriebswirtschaft für Führungskräfte – Die Erfolgslogik unternehmerischen Denken und Handelns. 5. Auflage, Zürich: Versus.
So gesehen liegen Just in Time in der Industrie und im Zeitmanagement gar nicht so weit auseinander. Das Just-in-Time-Management in der Industrie hat zum Ziel, den Materialfluss so zu gestalten, dass er zeitlich optimal auf den entsprechenden Produktionsprozess abgestimmt ist. Die Wertschöpfungskette wird dadurch verschlankt, die Produktion harmonisiert und besser planbar.
Wenn wir das sinnvoll auf unser Zeitmanagement übertragen wollen, müssen wir den «immer alles auf den letzten Drücker»-Ansatz in eine kontrollierte Zeitplanung und -nutzung überführen. Ziel ist es, die positiven Aspekte des Zeitdrucks (eindeutige Fokussierung, hohe Motivation, keine Ablenkung etc.) konstruktiv zu nutzen und die «chaotischen» Elemente zu eliminieren. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass wir ein paar Grundsätze des Zeitmanagements berücksichtigen.
- Zeitmanagement nach dem Just-in-Time-Ansatz ist in vielen Fällen zum Scheitern verurteilt, weil Methoden angewandt werden, ohne die Ist-Situation analysiert zu haben. Nehmen Sie sich also diese Zeit und betrachten Sie über einen repräsentativen Zeitraum (eine Woche oder noch besser einen Monat), wo Sie ganz allgemein regelmässig Zeit «verlieren».
- Diese Daten unterteilen Sie in selbstbestimmte und fremdbestimmte Zeit. Bei der selbstbestimmten Zeit ist eine weitere Unterscheidung in Aufgaben nach Dringlichkeit und Wichtigkeit notwendig. So lässt sich feststellen, wo es sich lohnt, Prioritäten zu setzen. Fremdbestimmte Zeiten sollten – auch wenn das mit das schwierigste Unterfangen im Zeitmanagement überhaupt ist – eingegrenzt und konsequent auf Ihren Nutzen hin untersucht werden.
- Auch Just-in-Time-Aktivitäten müssen nach der ALPEN-Methode geplant werden. Das Akronym steht für
Aufgaben und Termine aufschreiben,
Länge der Aufgabenerledigung abschätzen,
Pufferzeiten festlegen,
Entscheidungen priorisieren und
Nachkontrollen durchführen.
Die meisten Menschen können nicht intuitiv abschätzen, wie lange sie für eine bestimmte Arbeit benötigen. Meist plant man effizienter als man arbeitet. Das überlastet regelmässig die Puffer überlastet und frustriert. Indem Sie mehr über sich und Ihr Zeitmanagement lernen und auch Just-in-Time-Ansätze analysieren, kann aus «immer alles auf den letzten Drücker» ein Ansatz entstehen, der solchen Aktionen den Beigeschmack des Chaotischen und Planlosen nimmt. Diesen Ansatz sollten Sie nur sehr gezielt und gut dosiert einsetzen – nämlich bei den wenigen Aufgaben, die gleichzeitig sehr sehr wichtig und sehr sehr dringend sind.
Autoren:
Patrik Scherler, Dr. oec. HSG, ist Dozent für Betriebswirtschaftslehre an der School of Management and Law (ZHAW) in Winterthur und Inhaber der auf Coaching, Consulting und Connecting spezialisierten BENROX AG mit Sitz in Meilen/Zürich. Er ist Betreuer diverser Unternehmerforen, ERFA-Gruppen und Beiräte und organisiert Strategie- und Positionierungsworkshops.
Flavio Di Giusto, dipl. Betriebsökonom FH und MSc in Business Administration ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für innovative Didaktik (ZiD) an der School of Management and Law (ZHAW) in Winterthur und Mitautor des Buches «Irrtum Zeitmanagement».
Titelbild: Strandperle