Chats und Online-Meetings sind in vielen Unternehmen so selbstverständlich geworden wie das Kafi zur Pause. Wie steht es aber um die Implementierung von digitalen Arbeitsformen, die tiefer greifen? Beispielsweise die Automatisierung von Abläufen mittels Low-Code-Plattformen? Antworten gibt es im Interview.
Mit modernen Arbeitsmitteln liessen sich auch ineffiziente oder papierbasierte Prozesse neu denken – hier eröffnen sich riesige Potenziale. Doch es fehlen oft die IT-Fachkräfte, um Prozesse nutzbringend weiterzuentwickeln. Ein möglicher Ausweg ist die Demokratisierung der Digitalisierung, oder einfach ausgedrückt: Die Mitarbeitenden entwickeln sich von Konsument*innen zu digitalen Macher*innen («Digital Makers»). Wie das funktioniert, schildern Sebastian Zolg und Edona Elshan im Interview. Sebastian Zolg ist Digital Workplace Architect und Microsoft MVP 2022 bei Swisscom, während Edona Elshan am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen (HSG) als Postdoktorandin wirkt.
Sebastian Zolg, Unternehmen verlagern im Zuge der digitalen Transformation ihre Daten und die Zusammenarbeit in die Cloud. Welche Vorteile bringt das Unternehmen?
Sebastian Zolg: Die Cloud ist ein Versprechen für eine bessere, schnellere und effizientere Zusammenarbeit. Typische Beispiele dieser Cloud-Zusammenarbeit sind das gemeinsame Bearbeiten von Dokumenten, das digitale Whiteboard, Chat, Videotelefonie oder Screen Sharing.
Hat die Cloud damit unseren Arbeitsalltag vereinfacht?
Sebastian Zolg: Ganz ehrlich: nein. Die hybride Welt macht alles um ein Vielfaches komplexer. Zwar ist Zusammenarbeit räumlich und zeitlich unabhängiger geworden. Aber dafür sind Prozesse jetzt viel stärker fragmentiert. Wir müssen an diesen Prozessen arbeiten und sie an die neue Welt angleichen. Das Problem dabei: Ein Grossteil der IT-Budgets fliesst in sogenannte Leuchtturmprojekte. Jene Projekte sind oft im Umfeld von CRM-, HR-, MIS- oder ERP-Systemen zu finden. Sie sind gross angelegt, oft mehrjähriger Natur und binden beträchtliche IT-Ressourcen und Budgets. Auf der anderen Seite gibt es viele kleinteilige, stärker fragmentierte Prozesse – oft als long-tail bezeichnet –, die entweder nicht digital sind oder die Chancen der Cloud nicht nutzen. Da diese wie der sprichwörtliche Sand im Getriebe wirken, würde es sich lohnen, sie zu digitalisieren oder zu erneuern. Hier schlummert ein gewaltiges Potenzial.
Angesichts von Leuchtturmprojekten und begrenzten IT-Budgets: Wie finden Unternehmen den Ausweg aus diesem Dilemma?
Sebastian Zolg: Die Lösung liegt in der Demokratisierung der Digitalisierung. Dazu müssen die Mitarbeitenden zu aktiven Teilnehmer*innen der Digitalisierung gemacht werden, indem sie nicht mehr nur passive Konsument*innen sind, sondern als Digital Makers selbst mitgestalten und Ideen einbringen können. Nur so kann die Digitalisierung im Unternehmen nachhaltig und erfolgreich umgesetzt werden, trotz begrenzter IT-Budgets.
Das würde bedeuten, dass die Mitarbeitenden eigene Lösungen entwickeln?
Edona Elshan: Ja. Hier kommen die Low-Code-Plattformen ins Spiel. Dadurch sind auch Mitarbeitende ohne Programmierkenntnisse in der Lage, schnell und unkompliziert digitale Lösungen zu bauen. Somit können Ideen aus den Fachbereichen direkt umgesetzt und mit den Anwender*innen ausgetestet werden. Einerseits verbessert sich dadurch die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen, und andererseits kann das Unternehmen schneller auf Veränderungen reagieren.
Mit Low Code können Anwendungen über eine grafische Oberfläche mit Drag-and-Drop-Elementen statt mit klassischer Programmiersprache entwickelt werden, was schneller und kostengünstiger sein soll. Wie ist die HSG eigentlich auf Low Code aufmerksam geworden?
Edona Elshan: Letztes Jahr haben wir eine Interviewstudie in Schweizer Unternehmen durchgeführt, um die verschiedenen Anwendungsfelder von Low-Code-Plattformen zu beleuchten und die Chancen und Risiken zu analysieren. Derzeit sehen wir einen erheblichen Digitalisierungsbedarf in KMU sowie in Unternehmen mit fehlenden IT-Fachleuten. Führungskräfte in den genannten Firmen berichten uns häufig, dass sie mit der Effizienz der Prozesse in ihren Unternehmen nicht zufrieden sind. Digitalisierungsprojekte scheitern oft aufgrund unzureichender IT-Kapazitäten oder wegen hohen Kosten, die dazu führen, dass der Business Case schnell unrentabel wird. Aufgrund unserer Marktbeobachtungen erachten wir Low Code als probates Mittel für Digitalisierungsprojekte. Daraufhin haben wir in mehreren Fallstudien mit verschiedenen Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen beleuchtet, was die Anforderungen sind, um Low-Code-Plattformen einzuführen, und welches Potenzial sich daraus ergibt.
Mehr Eigeninitiative und mehr Agilität dank Low Code: Was heisst das konkret? Gibt es Beispiele dafür?
Sebastian Zolg: Bei Swisscom setzen wir für Low Code auf die Microsoft Power Platform – hauptsächlich aufgrund der tiefen Integration in Microsoft 365 und Microsoft Teams. Und hier wird es dann in Kombination mit der modernen Zusammenarbeit besonders spannend. Wir können nämlich weiterdenken und uns fragen, wie wir bisherige Prozesse weiter vereinfachen und die neugewonnenen Cloud-Werkzeuge miteinbeziehen.
Auch in den Industrien sehen wir grosses Potenzial. Ein Beispiel aus der digitalen Fertigung: Wir integrieren Störungsmeldungen von Anlagen so, dass sie direkt in Microsoft Teams eine Push-Notifikation an die Techniker*innen auslösen. Diese quittieren den Einsatz direkt in der Chatnachricht. Weitere Funktionen eines solchen Workflows können von den Fachabteilungen selbst definiert und umgesetzt werden. Was wir hier sehen, ist die Verbindung zwischen Kerngeschäft und moderner Zusammenarbeit. Dadurch eröffnen sich nahezu endlos viele Möglichkeiten.
Wie sieht es auf dem Markt aus? Welche Branchen setzen auf Low Code?
Edona Elshan: Im Rahmen unserer Untersuchungen haben wir verschiedene Branchen genauer unter die Lupe genommen und sind dabei auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Anwendungsfällen gestossen. Wir haben dabei festgestellt, dass Low Code in nahezu jeder Branche einsetzbar und das Spektrum der Anwendungsfälle entsprechend breit gefächert ist. Es erstreckt sich von der Automatisierung von E-Mail-Prozessen über die Entwicklung von Applikationen für den Schienenverkehr bis hin zur Umsetzung von vorübergehenden Anwendungen wie einer Corona-Info-App. Die Flexibilität von Low Code erlaubt es Unternehmen, individuelle Anforderungen schnell und kostengünstig umzusetzen und so einen echten Mehrwert zu schaffen.
Die Nachfrage nach Low Code ist demnach gegeben, die Technologie ist bereit. Welche Voraussetzungen muss ein Unternehmen dafür mitbringen?
Edona Elshan: Unternehmen müssen sich bewusst sein, dass Low-Code-Technologie zwar einfach klingt, aber dennoch eine Lernkurve erfordert. Ein wichtiger Faktor ist die Bereitschaft des Unternehmens, sich auf diese neue Technologie einzulassen und eine Kultur zu schaffen, die digitale Lösungen fördert. Dabei ist es auch wichtig, die Mitarbeiter*innen zu befähigen und zu ermutigen, an diesen Lösungen zu arbeiten. Es ist eine Transformation, die das Unternehmen begleiten muss, um das volle Potenzial von Low Code nutzen zu können. Zusätzlich ist es unerlässlich, gewisse Grundkenntnisse zu erwerben, um die Technologie effektiv zu nutzen und Prozesse optimieren zu können. Mit diesem Verständnis sind Unternehmen in der Lage, die Vorteile von Low Code voll auszuschöpfen und damit ihre Prozesse zu verbessern und ihre Effizienz zu steigern.
Sebastian Zolg: Die Mitarbeitenden müssen begleitet werden. Bei Swisscom arbeiten wir an einem Low Code Adoption Framework. Wir bringen Mitarbeitenden in verschiedenen Funktionen bei, mit diesen Technologien umzugehen. Und dazu braucht es klare Strukturen für die Verantwortlichen aus dem Business. Diese müssen wissen, was sie tun. Das gilt natürlich auch für die Governance und die IT. Es darf nicht sein, dass hunderte neuer Business Apps und Workflows entstehen und danach der IT auf die Füsse fallen. Mit einem Center of Excellence und einem aktiven Portfoliomanagement für Low-Code-Apps schaffen wir diesbezüglich Transparenz.
Edona Elshan, vermittelt ihr an der HSG die nötigen Low-Code-Grundlagen an eure Studierenden?
Edona Elshan: Aber sicher! Wir vermitteln unseren BWL-Studierenden nicht nur ein grundlegendes Verständnis für Technologie, sondern wenden diese Technologien auch in weiterführenden Ausbildungen an, um praxisorientiertes Lernen zu ermöglichen. Unsere Studierenden haben die Möglichkeit, Low-Code-Entwicklungstools zu nutzen, um Websites oder Anwendungen zu erstellen. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung von Chatbots, die Kundenanfragen beantworten. Wir sind davon überzeugt, dass die Low-Code-Entwicklung ein wichtiger Bestandteil der modernen Geschäftswelt ist. Und wir möchten sicherstellen, dass unsere Studierenden die Fähigkeiten erlernen, die für den Einsatz dieser Technologie erforderlich sind.
Was sind Ihre zentralen Überlegungen zu Low Code?
Sebastian Zolg: Die moderne Zusammenarbeit muss mehr sein als Chat und Screen Sharing. In Tools wie Teams muss auch das Kerngeschäft integriert sein. Mit Teams und Power Platform sind die Möglichkeiten endlos, und Prozesse können völlig neu gedacht werden. Es ist wichtig, dass Mitarbeitende in den Prozess der Digitalisierung als aktive Gestalter*innen einbezogen werden, um aus digitalen Konsument*innen digitale Macher*innen zu machen. Das fördert die Innovationskraft, steigert die Agilität und schafft einen echten Mehrwert im Unternehmen.
Edona Elshan: Um den Anforderungen des sich ständig wandelnden Arbeitsmarktes gerecht zu werden, ist es unerlässlich, sich laufend neue Skills anzueignen. Besonders gefragt sind derzeit Fähigkeiten im Bereich der Low-Code-Entwicklung. Wer diese Fähigkeiten beherrscht, ist auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähiger und kann sich neue Karrieremöglichkeiten erschliessen.
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