Als Expertin für digitale Transformation kennt Sunnie Groeneveld den Digitalpuls der Schweizer Wirtschaft. Im zweiten Teil des Interviews spricht sie darüber, wie ein Buch bei der digitalen Transformation helfen kann. Und weshalb «Alter gleich Erfahrung» nicht immer stimmt.
Sunnie Groeneveld, was ist Digital Leadership für Sie?
Ein Digital Leader ist jemand, der oder die ein solides Technologieverständnis hat und über Begeisterungsfähigkeit, Mut, Neugierde und das Selbstverständnis verfügt, nie ausgelernt zu haben. Es braucht Leaderinnen und Leader, die zugeben, dass sie (noch) nicht alle Antworten haben. Die Offenheit und Dialogbereitschaft signalisieren und auch bereit sind, Vulnerabilität zu zeigen – diese Authentizität ist keine Schwäche, sondern Grösse! Ausserdem gehört etwas Paranoia vor neuen digitalen Innovationen dazu, denn man weiss eigentlich nie, was noch um die Ecke kommen könnte.
Sie haben diverse Verwaltungsratsmandate inne. Was denken Sie, müssten Schweizer Verwaltungsräte tun, um technologisch am Ball zu bleiben?
Wir brauchen in Verwaltungsräten eine höhere Technologiekompetenz und eine breitere Altersdiversität. Die Idee «Alter gleich Erfahrung» stimmt in vielen, aber nicht in allen Fällen, vor allem nicht im Technologiebereich. Da der technologische Wandel für viele Unternehmen so relevant ist, können gerade auch junge Menschen, die diesen Wandel mitprägen, strategisch wertvolle Beiträge leisten.
Ein Beispiel: Wenn sich jemand mit 17 Jahren schon für mobile Apps begeistert hat, als Apple 2008 den App Store lancierte, und die Person dann fünf Jahre später verantwortungsvolle Positionen in Agenturen einnehmen konnte – dann ist diese Person heute mit 32 Jahren eine valable Kandidatin für ein Verwaltungsratsmandat in einer Firma, die eine mobile-first Transformation angehen möchte. Vermutlich die beste! Im gleichen Zeitraum haben viele ältere Kandidierende nicht die gleiche technologische Nähe respektive das entsprechende strategische Innovationsverständnis aufbauen können. Denn sie waren vermutlich in Managementfunktionen beschäftigt und stärker im «Run the Business» verhaftet. Diese Führungsspezialisten mit der entsprechenden Industriekompetenz braucht es selbstverständlich auch, aber eben nicht nur. Eine gute Durchmischung ist essenziell.
Mit Inspire 925 begleiten Sie Transformationsprojekte gemäss der Website mit «Storytelling-Strategien, um Mitarbeitende für Change zu begeistern». Warum sind solche Strategien wichtig, um die digitale Transformationen zu gestalten?
Der erste Schritt in Transformationsprojekten ist oft banal. Es gilt, intern eine gemeinsame Sprache zu etablieren und Begrifflichkeiten zu definieren: Was bedeutet Digitalisierung? Was bedeutet digitale Transformation? Das ist nicht dasselbe. Digitalisierung ist nichts anderes, als etwas ehemals Analoges wie beispielsweise einen Prozess eins zu eins ins Digitale zu übersetzen. Während es bei der digitalen Transformation darum geht, Kundenerlebnisse, Prozesse oder gar Geschäftsmodelle massgeblich zu verändern.
Je nach Unternehmenskontext kommen weitere Begriffe hinzu, wie AI oder Blockchain. Allen Mitarbeitenden muss klar sein, was diese Schlagworte in ihrem Unternehmenskontext bedeuten, denn teilweise ist das Verständnis sehr verschieden. In einem ersten Schritt arbeite ich also fast schon pedantisch an einem gemeinsamen Verständnis.
Wenn wir es schaffen, in einer Organisation klare Begriffe unternehmensweit zu verankern, so dass allen klar ist, ob wir unter digitaler Transformation eine Geschäftsmodell-Anpassung oder eine Veränderung des Kundenerlebnisses meinen, haben wir eine zentrale Grundlage für die Transformation geschaffen.
Der zweite Schritt ist, das «wozu» klar zu adressieren. In einem Satz muss eine Organisation erklären können, warum sie ein Transformationsvorhaben anstrebt. Es ist die entscheidende Antwort, worauf die ganzen Management Summarys und PowerPoint-Folien dann aufbauen können. Es macht jede Initiative nachvollziehbar und dient als Grundlage für das Narrativ der Veränderung, das die Führungskräfte in ihrer Organisation kommunizieren.
Sie haben gemeinsam mit Christoph Küffer das Buch «Inspired at Work» neu lanciert. Es ist ein Ideenbuch «für mehr Engagement und Innovation im Unternehmen». Welches ist Ihre Lieblingsmethode aus dem Buch?
Vom Impact her sind es zwei: Die LunchLottery ist ein Mechanismus, um Mitarbeitende nach Zufallsprinzip zum Lunch oder zu einem (virtuellen) Kaffee zu vernetzen. In kleinen Organisationen reicht eine Exceltabelle, für grössere Organisationen wie Holcim, Lindt oder SRG gibt es eine SaaS-Lösung, die ich mitgegründet habe. Es fördert in den genannten Organisationen die soziale Verbundenheit und baut informelle Beziehungen auf – ein zentraler Erfolgsfaktor für die Talentretention! Wir wissen heute, dass die Frage «hast du einen besten Freund auf der Arbeit» viel darüber aussagt, wie gut sich Mitarbeitende im Unternehmen halten lassen.
Die zweite Methode wende ich auch selbst im Inspire-925-Team an, es sind Feedback-Walks. Die Idee dahinter ist, zu zweit draussen zu spazieren. Vorgesetzte und Mitarbeitende erzählen einander drei Dinge, die gut laufen, und drei Dinge, von denen sie glauben, dass der andere Verbesserungspotenzial darin besitzt. Erlaubt sind nur Verständnisfragen vom Zuhörenden. Ich mache das seit einigen Jahren und bin immer wieder positiv überrascht, wie viel ich von meinen Teammitgliedern mitnehmen kann. Wichtig ist, wirklich rauszugehen. Sich im Büro gegenüberzusitzen hat nicht denselben Effekt.
Während mit Remote Work immer mehr in einen Arbeitstag gepackt wird, bleibt kaum mehr Zeit für Socializing, Ideenfindung und Verschnaufpausen, die uns letztlich leistungsfähiger machen. Wann und wie sollen Unternehmen und Mitarbeitende sich da Zeit nehmen für ihre Vorschläge?
Buch: «Inspired at Work»
66 Ideen und 15 Praxisberichte von innovativen Unternehmen haben Sunnie Groeneveld und Christoph Küffer in diesem Buch gesammelt, um Engagement und Innovation im Unternehmen zu fördern. Die sehr konkreten Vorschläge sind bewertet nach Aufwand für Planung, Umsetzung und Kosten und reichen vom einfachen Feedbackspaziergang bis hin zum Life-Balance Bonus. Die zweite, überarbeitete Auflage ist witzig illustriert und motiviert zum Durchblättern und Ausprobieren.
Inspired at Work, Versus Verlag, 34 Franken
Es ist Teil der Führungsaufgabe, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Kultur im Unternehmen gelebt werden soll. Unsere Rezepte liefern dafür konkrete, oft niederschwellige Ideen. Wann und wie eine Führungskraft die Ideen im Arbeitsalltag integriert, kann sie selbst am besten beurteilen. Hauptsache sie geht mit gutem Beispiel voran. Und besser nur eine Sache umsetzen, aber die dafür richtig. Oft reicht auch schon eine kleine Sache, die zeigt: Ich interessiere mich für mein Team und möchte etwas dafür tun, dass wir «inspired at Work» sind.
Hand aufs Herz: Kann ein Buch allein kulturelle Veränderungen in Unternehmen bewirken oder braucht es hier noch weitere Begleitung? Was raten Sie Unternehmen?
Wir haben letztes Jahr mit der Hirslanden-Klinik in Zürich ein Projekt umgesetzt, bei dem das Buch das zentrale Instrument war. Wir haben eine «Inspired at Hirslanden»-Edition herausgegeben, die vom Klinikdirektor Marco Gugolz und 60 Führungskräften in weniger als einem Tag gemeinsam erarbeitet wurde. Und ich stelle fest, wenn die Formate auf die Unternehmensbedingungen umgemünzt und von der Führungsebene abteilungsübergreifend getragen werden, dann können sie eine grosse Kraft entwickeln. Die Haltung der Führungskräfte ist dabei entscheidend und setzt Zeichen.
Zu guter Letzt: Was denken Sie, kann Swisscom dazu beitragen, um die digitale Transformation in der Schweiz voranzutreiben?
Im «run the Business» ist Swisscom stark daran beteiligt, die gesamte Schweiz allein schon durch Connectivity an der digitalen Wirtschaft partizipieren zu lassen. Selbst der Bündnerfleisch-Hersteller im Bergdorf in Graubünden kann seine Ware via E-Shop weltweit vertreiben, wenn er das will. Für uns in der Schweiz ist das selbstverständlich, in anderen Ländern ist man noch nicht so weit. Wir haben dank Swisscom landesweit keine digitalen Grenzen.
Ausserdem leistet Swisscom Ventures einen wichtigen Beitrag für die Schweizer Start-up-Szene und deren Aufbau. Auch Henri Néstlé, Alfred Escher und Julius Maggi sind mal als Start-up gestartet. Damit die Schweiz auch in hundert Jahren weiter erfolgreich sein wird, braucht es in der digitalen Wirtschaft Investoren und Brückenbauer.
Zu guter Letzt dürfen wir unsere KMU nicht vergessen, über 600’000 in der Schweiz! Diese zu begleiten in der digitalen Transformation, sie zu unterstützen mit Lösungen, die für sie relevant sind. Das ist eine wichtige Basisarbeit, bei der auch Swisscom mitmacht.
Über Sunnie Groeneveld
Sunnie J. Groeneveld hat ihre Chancen früh gepackt: Nach einem gymnasialen Austausch in Amerika hat sie Economics in Yale studiert. Zurück in der Schweiz war sie die erste Geschäftsführerin der industrieübergreifenden Standortinitiative DigitalZurich2025, heute digitalswitzerland. 2013 gründete Sie gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner die Beratungsfirma Inspire 925, welche Unternehmen in der digitalen Transformation begleitet. Heute ist sie neben ihrer Tätigkeit als Managing Partner bei Inspire 925 auch mehrfache Verwaltungsrätin und Studiengangsleiterin des Executive MBA Digital Leadership der HWZ Zürich, welches sich auf die Führungskompetenz in digitalen Transformationsvorhaben konzentriert.
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