Philipp Kristian spricht über Vertrauen in einer digitalen Welt
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«Vertrauen befähigt uns zu grossen Taten. Es ist die Basis starker Führung und bringt uns zusammen»

Im Interview spricht Autor und Redner Philipp Kristian über Vertrauen als Lösungsansatz und Zukunftsfaktor in einer komplexen digitalen Welt. Und wie digitales Vertrauen im AI-Zeitalter funktionieren kann.

Philipp Kristian, Sie heben Vertrauen und digitale Humanität als Erfolgsrezept für die Zukunft hervor – warum ist das so wichtig und was hat das mit Digitalisierung und künstlicher Intelligenz (KI) zu tun? 

Die Digital Economy versetzt uns in die Lage, globale Barrieren aufzuheben. Nun kommt die rasante Entwicklung von KI hinzu, ein massiver Produktivitätssprung, der die Weltwirtschaft enorm verändert. Wie sinnvoll oder destruktiv das ist, liegt in unserer Hand.

Die Künstliche Intelligenz übersteigt unser rationales Verständnis. Was sind die Konsequenzen? 

Ein Top-Manager schafft es vielleicht, aus mehreren hundert Seiten Dokumenten pro Tag eine Position zu formulieren. Eine KI macht daraus zehntausende Seiten und das 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche – ohne Gehalt und ohne Pause. Auf der rein rationalen Ebene können wir mit dem Tempo definitiv nicht schritthalten. Was uns bleibt, ist unsere Humanität.

Und was hat das mit Vertrauen zu tun? 

Wir vertrauen Ideen und Technologien mehr, als unbedingt sinnvoll ist. Vor allem, wenn wir uns der Konsequenzen nicht mal bewusst sind. Vor zwanzig Jahren kamen Sie doch wunderbar ohne Navi aus. Heute ist das kaum denkbar. Wir gewöhnen uns an technologischen Fortschritt; mögen Ideen, die uns den Alltag vereinfachen. Dabei vergessen wir schnell, dass sich die Welt ständig ändert. Technologie verspricht uns klare, fixe, sofortige Antworten auf unsere Fragen, reflektiert sich aber natürlich nicht selbst. So ein Navi gaukelt uns vor, dass es jeden Weg kennt – das klappt aber nur dann, wenn das Kartenmaterial aktuell ist. Und KIs wie ChatGPT schummeln auch gerne mal, nur um uns eine Antwort zu geben. Auch wenn die nichts mit der Realität zu tun hat.

Woher kommt dieses fast schon blinde Vertrauen in Fortschritt durch Technik?

Uns werden von klein auf gewisse Ideen eingetrichtert, die nur auf den ersten Blick hilfreich sind. Drei davon stechen heraus. Erstens: Vertrau nicht dir, denn es gibt ja Expert*innen, die die Antwort kennen. Zweitens: Vertrau keinen Fremden. Drittens: Für jede Herausforderung gibt es eine definitive Lösung. Damit vereinfachen wir die Welt so, dass sie bequem in Schubladen passt. Sich Technologie blind anzuvertrauen, macht es uns also einfach. Statt unser Weltbild der Realität anzupassen, machen wir es umgekehrt – auf Dauer geht das schief.

«Je komplexer die Welt, desto mehr brauchen wir ein Wir»

Philipp Kristian

Dieses Verhältnis zur Technologie prägt uns: In der Managementkultur beispielsweise wird erwartet, dass es auf jede Frage eine Antwort gibt. Das hat nur wenig mit der komplexen Welt zu tun, in der wir leben. Wir müssen uns und einander vertrauen, der Ungewissheit als Einheit begegnen. Dann schaffen wir das. Digitalisierung unterstützt uns, kann aber allein die Lösung nicht sein. Die Probleme unseres Zeitalters erfordern ein grösseres Bewusstsein. Nachhaltiger Fortschritt geht daher nur gemeinsam.

Was bedeutet das für die Management- und Führungskultur?

Als Führungskräfte sind wir dann erfolgreich, wenn wir Inklusion vorleben. Wir-Gefühl entsteht dort, wo wir uns in unserer Humanität begegnen, nicht in Schubladen. Wir müssen Brücken bauen. Sonst unterscheiden wir zwischen uns und den Anderen. Das kann Unternehmen spalten. Wenn eine Abteilung zusammenhält, aber nichts mit den anderen Kollegen anfangen kann, führt das zu Problemen. Und die müssen wir überbrücken.

Kann man das lernen? 

Bisher haben wir gelernt, dass man mit divisiven Strukturen besser fährt und produktiver wirtschaftet. Aber das Gegenteil ist der Fall, weil sonst die Zusammenarbeit auf der Strecke bleibt und es am Wir-Gefühl fehlt. Je komplexer die Welt, desto mehr brauchen wir ein Wir. Zum Glück liegt das Vertrauen in unserer Natur. Wir müssen es nur zum Vorschein bringen. Swissness ist ein grossartiges Beispiel für Vertrauen in eine gemeinsame Idee und ein starkes Wir-Gefühl. Vertrauen schafft Einheit. Das Gegengewicht zu Vertrauen ist Geld. Damit wird eingeteilt und organisiert. In Unternehmen ist es notwendig, dass wir beides in Einklang bringen.

Könnten Sie das etwas konkreter erläutern? 

Finanz- und Vertrauenswirtschaft sind komplementäre Kräfte, die ein Unternehmen bewegen. Wir müssen einander vertrauen, um gemeinsam etwas zu erschaffen – und wir müssen diesen Vorgang so organisieren, dass etwas Sinn- und Wertvolles dabei entsteht. (Lächelt) Ich stelle mir da einen wilden Tanz aus Inklusion und Einteilung, Humanität und Rationalität vor.

Moderne Gesellschaften sind durch ihr industrielles Erbe äusserst rational geworden. Das führt zu Hyperrationalität, also Rationalität, die irrational ist. Daraus ergeben sich ironischerweise sowohl Produktivitäts- als auch Vertrauensdefizite.

Philipp Kristian engagiert sich für mehr Vertrauen und Humanität in unserer digitalen Zukunft. Der Autor von «The Trust Economy» und «RESET» gilt international als Vertrauensexperte der digitalen Generation. Als Gastprofessor bringt er diese Perspektiven in Führungsprogramme an internationalen Topuniversitäten ein. Im Rahmen der Swisscom Business Days 2023 wird er als Keynote Speaker zum Thema «The Power of Trust in a Digital World: Warum Digital Humanity wichtig ist» referieren. 

Und darin besteht also unser Dilemma? 

Genau. Wir organisieren immer mehr und schaffen dabei immer weniger. Ein Gleichgewicht löst diese Probleme und sorgt für Nachhaltigkeit. Die Digital Economy möchte die Welt zusammenbringen, verspricht uns mehr Humanität. Sie gibt uns also das, was in einer industriellen Welt abhandengekommen ist. Kommerziell geht es aber auch den Tech-Playern um Gewinn. Noch passen diese beiden Welten also nicht zusammen, und das irritiert uns.

Wie genau hilft uns digitales Vertrauen dabei, das zu überbrücken?

Ein Gleichgewicht entsteht entweder durch Extreme, die sich gegenseitig in Schach halten. Das ist aktuell der Fall. Oder es entsteht durch Überbrücken und Annähern der Polaritäten. Dieser Ansatz ist vielversprechender.

Und wie schaffen wir das? 

Nun, die Kraft des Vertrauens und der Digitalen Humanität befreit uns von Hyperrationalität. Nehmen Sie beispielsweise Human Resources: Dass wir Mitarbeitende als Resources, also Rohstoffe, bezeichnen, ist doch absurd. Sie definieren Ihren Nachwuchs ja auch nicht als häusliche Arbeitskraft oder Inventar. Die Humanität, mit der wir uns begegnen, vereint uns. Rational können wir das nicht erklären; intuitiv verstehen wir das.

Hätten Sie eine Idee zur Umsetzung? 

Na klar. Fragen Sie einfach mal Ihre Nachwuchstalente, was sie in Ihrem Unternehmen beitragen möchten, was sie erfüllt. Geben Sie Ihnen die Möglichkeit, es umzusetzen – nicht als Gefallen Ihrerseits, sondern weil es sinnvoll sein kann.

Kann es digitales Vertrauen respektive Vertrauen in die Digitalisierung überhaupt geben? 

Absolut! Digitalisierung ermöglicht uns, rationales Organisieren und humanes Vertrauen auf neue Art ins Gleichgewicht zu bringen, daraus ein harmonisches Miteinander zu schöpfen. Wie schnell uns das gelingt, ist eine Frage unseres Bewusstseins.

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