«Wer heute nicht digitalisiert, kann morgen in der Schweiz nicht mehr produzieren»
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«Wer heute nicht digitalisiert, kann morgen in der Schweiz nicht mehr produzieren»

Die Schweizer Industrie steht vor enormen Herausforderungen: Globaler Wettbewerb, Fachkräftemangel und digitale Transformation sind nur einige Faktoren. Im Interview erklären Hanspeter Groth, Head Manufacturing Industries, und Philipp Schmid, Sales Director & Head Manufacturing Industries bei Swisscom, warum Smart Manufacturing für Schweizer Unternehmen entscheidend ist und wie die digitale Transformation helfen kann, den Produktionsstandort Schweiz zu sichern.

Herr Schmid, Herr Groth, das Thema KI (künstliche Intelligenz) ist in aller Munde. So sehr, dass sich in der Industrie erste «Ermüdungssymptome» zeigen. Woran liegt das?

Hanspeter Groth: Ich würde nicht von Ermüdung sprechen, sondern eher von einer Ernüchterung nach dem ersten Hype. Denn KI ist grundsätzlich nichts Neues in der Industrie. Machine Learning (ML) ist sogar recht verbreitet, etwa, wenn es um vorausschauende Wartung oder Früherkennung von Qualitätsproblemen geht. Die angesprochene Ernüchterung tritt meistens dann ein, wenn ein Betrieb erkennt, dass ein sinnvoller KI-Einsatz ohne qualitativ gute Daten nicht möglich ist. Und diese «Hausaufgaben» sind leider zeitraubend und aufwendig.

Philipp Schmid: Die ersten industriellen neuronalen Netzwerke kamen bereits vor 15 Jahren zur Anwendung. Doch die breite Massenanwendung blieb damals aus, weil man unter anderem perfekte Daten sowie massgeschneiderte Algorithmen benötigte. Mit der Lancierung von ChatGPT im Jahre 2022 wurde der Hype dann neu entfacht – und in einem viel grösseren Ausmass. Weltweit werden in diesem Feld gigantische Investitionen im mehrstelligen Milliardenbereich getätigt.

Diese Entwicklungen bringen in vielen administrativen Bereichen zwar enorme Einsparpotenziale, doch industriespezifisch überwiegen die Schwächen der heutigen KI-Anwendungen, wie etwa das «Halluzinieren». Für die produzierende Industrie bleiben daher spezifisch für einen Zweck entwickelte neuronale Netzwerke unverzichtbar. Nur mit solchen Entwicklungen erreicht man Genauigkeiten (wie verlässlich ein System verwendbare Ergebnisse liefert) von über 98 Prozent. Dies bietet einen grossen Mehrwert, insbesondere auf der betriebswirtschaftlichen Seite.

Die «Smart Factory» gilt als essenziell für Schweizer Unternehmen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Swisscom spricht meist von «Smart Manufacturing». Was verstehen Sie darunter?

Hanspeter Groth: Die Schweizer Industrie ist ein Sinnbild für Qualität, steht aber in einem harten Preiswettkampf. Die Herausforderung besteht daher darin, Produktqualität, Lieferzuverlässigkeit und -geschwindigkeit zu konkurrenzfähigen Preisen zu gewährleisten. Um international bestehen zu können, sind ausserdem Kundennähe sowie stetige Innovation entscheidend. Diese Problemstellungen lassen sich nur dann angehen, wenn ein Unternehmen über ein standardisiertes und digitales Rückgrat verfügt, das Menschen, Maschinen und Produkte über Unternehmensgrenzen hinweg verbindet. Dieses digitale Rückgrat lässt sich mit verschiedenen Handlungsfeldern definieren. Bei Swisscom sprechen wir in diesem Zusammenhang vom «intelligenten Fertigungsunternehmen» beziehungsweise von «Smart Manufacturing».

«Um international bestehen zu können, sind Kundennähe sowie stetige Innovation entscheidend.»

Hanspeter Groth, Head Manufacturing Industries, Swisscom

Können Sie einige dieser Handlungsfelder erläutern?

Hanspeter Groth: Neben derNähe zum Markt und zu den Kunden ist eine robuste und durchgehende Wertschöpfungskette entscheidend. Ebenso wesentlich ist eine intelligente Produktion, die eine Vernetzung von Menschen, Maschinen und Werkstücken erlaubt. Dadurch werden in einer Smart Factory unnötige menschliche Eingriffe aus der Gleichung entfernt, ebenso wie Medienbrüche. Anschliessend geht es darum, intelligente Produkte und Services anzubieten sowie die eigene Firma in ein datengetriebenes Unternehmen umzuwandeln.

Philipp Schmid: Der Kern jeder produzierenden Firma ist und bleibt der Shopfloor. Damit die Produktion optimal ausgelastet werden kann, braucht es jedoch viele weitere Bereiche. Die Reise beginnt bei den Kunden, die durch Marketing abgeholt und überzeugt werden müssen. Wurde das Ziel einer Bestellung erreicht, gelangt der Auftrag in die Planung und anschliessend weiter in die Smart Factory, wo er möglichst effizient und in perfekter Qualität ausgeführt wird. Wichtig sind auch hier wieder die Daten zur finanziellen Steuerung. Das Erschliessen neuer Geschäftsmodelle gehört ebenfalls zu den Kernaufgaben einer modernen Fabrik. Alle diese Facetten führen uns eines vor Augen: Ein modernes, ganzheitliches Konzept umfasst viel mehr als «nur» die Produktion. Es ist daher essenziell, dass bei der Skizzierung einer Vision alle Bereiche berücksichtigt werden.

Philipp Schmid, Manufacturing-Experte bei Swisscom

«Ein modernes, ganzheitliches Konzept umfasst viel mehr als ‹nur› die Produktion.»

Philipp Schmid, Sales Director & Head Manufacturing Industries, Swisscom

Swisscom positioniert sich hinsichtlich Smart Manufacturing und Digitalisierung als One-Stop-Shop. Welche Aspekte machen diesen Rundum-sorglos»-Ansatz aus?

Philipp Schmid: Traditionell ist Swisscom stark in der Konnektivität sowie im klassischen Netzwerk- und IT-Geschäft aufgestellt. Doch in den letzten Jahren haben wir bewusst unsere Expertise in den Core-Business-Prozessen sowie modernen Rechenzentrumsarchitekturen mit Cloud-Lösungen erweitert. Dank der klaren Vertikalisierung in Richtung «Manufacturing Industries» bieten wir mittlerweile auch Maschinenanbindung mit Feldbusprotokollen, Gateway-as-a-Service und OT-Security auf professionellem Niveau an.

Die Nutzung von Daten ist für ein erfolgreiches «Smart Manufacturing» unerlässlich. Wie aber können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Daten einen Nutzen stiften?

Smart Manufacturing Solutions

Digitalisierung ist der Weg, Smart Manufacturing die Vision. Erhalten Sie von Swisscom umfassende und individuelle Begleitung mit holistischem Ansatz – von Business-Consulting über Software-Entwicklung bis hin zu Integration und Betrieb Ihrer Lösung.

Philipp Schmid: Hierfür sind drei Elemente entscheidend: Business-Prozesse, Shopfloor sowie Advanced Analytics. Es handelt sich hierbei sozusagen um den «heiligen Dreiklang» einer modernen digitalen Produktionsfirma. Im Zentrum steht die Frage, wo die relevanten Daten überhaupt entstehen.

Die Antwort darauf finden wir in den Core-Prozessen wie ERP, CRM, PLM sowie in den Maschinen im Shopfloor. Gelingt es einem Unternehmen, beide Welten zu verknüpfen, stehen den modernen Algorithmen wahre Schätze zur Verfügung.

Die Digitalisierung ist ein Prozess, der Unternehmen grundlegend verändert. Wie können Unternehmen ihre Digitalisierung strategisch angehen?

Hanspeter Groth: Eines muss man klar festhalten: Die Digitalisierung ist ein Thema für die Geschäftsleitung! Diese Aufgabe darf daher nicht mit Silodenken angegangen werden, ansonsten wird die Vision von Smart-Manufacturing zur Illusion. Die Business-Strategie muss der Leitfaden sein, dem die Digitalisierungs-Strategie folgt. «Think Big!» ist angesagt, wobei in der Umsetzung dann durchaus mit Teil-Projekten gestartet werden sollte – also «start small».

Doch wie identifizieren Unternehmen ihre Sollbruchstellen und historisch gewachsenen Silolösungen erfolgreich?

Hanspeter Groth: Hierzu ist Selbsterkenntnis der Schlüssel (lacht). Man sollte konsequent hinterfragen, warum beispielsweise Smart-Supply- und Value-Chains nicht auf Standard-Prozessen basieren können. Erfahrungsgemäss lassen sich auf diese Weise viele Silo-Lösungen eliminieren. Allerdings werden gewisse Lücken mit grosser Wahrscheinlichkeit immer bestehen. Hier sind firmenspezifische Speziallösungen absolut vertretbar.

Philipp Schmid: Aus Erfahrung wissen wir, dass Sollbruchstellen und historisch gewachsene Silolösungen die grössten Feinde von Smart Manufacturing darstellen. Daher ist eine klare Strategie entscheidend und sollte mindestens folgende Punkte umfassen: Datenbank-Architektur, Lokal versus Cloud, Zweck (finanzielle Steuerung versus Hochfrequenzdaten für Real-Time Predictive Analytics), gemeinsame Schnittstellen und Protokolle sowie einen Zeitplan. Jede Firma ist organisch gewachsen, und damit auch ihre Systeme. Doch die gute Nachricht lautet, dass es starke Softwaretools gibt, welche die verschiedenen Welten einfach und effizient verbinden können.

Warum sind Digitalisierungslösungen auch im Kontext des zunehmenden Fachkräftemangels wichtig?

Philipp Schmid: Weil die Prognosen eine klare Sprache sprechen: Gemäss dem Bundesamt für Statistik werden in den nächsten Jahren tausende Arbeitskräfte auf dem Schweizer Markt fehlen, wobei ein erstes Maximum dieser Lücke bereits 2029 erreicht wird. Nicht nur werden wir keine Leute mehr finden, sondern wir verlieren auch eine gewaltige Menge an Erfahrung durch Pensionierungen. Junge Mitarbeitende benötigen wiederum viel Zeit, um sich dieses spezifische Wissen anzueignen – ein Luxus, den wir uns in der aktuellen wirtschaftlichen Lage nicht mehr leisten können.

Besonders betroffen davon sind nicht die grossen Konzerne in den städtischen Ballungsräumen, sondern unsere Hidden Champions; sprich KMUs, die auf dem Weltmarkt Nischen bedienen. Hier kann die Digitalisierung aushelfen: Der grosse Vorteil heutiger Systeme besteht nämlich darin, dass sie problemlos mit hochkomplexen, multidimensionalen Aufgabenstellungen umgehen können. Was vor Kurzem noch undenkbar war, ist für heutige Software oft kein Problem mehr. Wer aber jetzt nicht beginnt, seine Prozesse zu digitalisieren, wird schon in wenigen Jahren in der Schweiz kaum noch produzieren können.

Welche künftigen Themen, Entwicklungen und Herausforderungen sehen Sie auf die Industrie zukommen?

Hanspeter Groth: Der Wettbewerbsdruck und die Geschwindigkeit, mit welcher neue, innovative Ansätze in den Markt gelangen, werden zunehmen. So hat etwa GenAI das Potenzial, auch industrielle Geschäftsmodelle disruptiv zu verändern. Vor allem für ein Hochlohn-Land wie die Schweiz gilt es deshalb, offen gegenüber neuen technologischen Möglichkeiten zu sein und diese für die weitere Optimierung bestehender Geschäftsmodelle zu nutzen.

Philipp Schmid: In den kommenden Jahren wird die konsequente Umsetzung etablierter Themen wie Industrie 4.0, Digitalisierung und der Einsatz neuronaler Netzwerke im Fokus stehen. Eine der grössten Herausforderungen dabei ist der hohe Grad an notwendiger Individualisierung der Lösungen. «One-size-fits-all»-Ansätze werden den Anforderungen und Bedürfnissen der Schweizer Industrie oft nicht gerecht. Es wird einen typisch schweizerischen Mittelweg brauchen, da massgeschneiderte Ansätze zu teuer sind. Die Lösung liegt in klar abgegrenzten Softwaremodulen, die kundenspezifisch zu einem optimalen Gesamtsystem kombiniert werden können.

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