Christof Zogg bei seinem Referat über künstliche Intelligenz
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Künstliche Intelligenz in Unternehmen: «Business-Entscheider kommen nicht mehr darum herum»

Künstliche Intelligenz bietet für Unternehmen grosses Potenzial, um ihre Effizienz zu steigern, innovativere Produkte zu entwickeln und bessere strategische Entscheide zu fällen – und somit Wettbewerbsvorteile zu gewinnen. Christof Zogg, Head of Business Transformation bei Swisscom, sagt im Interview, warum KI für den Unternehmenserfolg wichtig ist und weshalb sich nicht nur die IT-Abteilung damit beschäftigen sollte.

MSM Research: KI

Künstliche Intelligenz als Game Changer: Erfahren Sie in der aktuellen Studie von MSM Research, wie Schweizer Unternehmen KI nutzen und was Sie beim Einsatz berücksichtigen sollten.

Warum unterstützt KI den nachhaltigen Unternehmenserfolg?

Christof Zogg: Vor allem wegen des grossen Potenzials von KI zur Effizienzsteigerung, welche die neusten Entwicklungen besonders im Machine Learning (ML) ermöglichen, einem Teilgebiet der KI. Zum Beispiel bieten die immer besseren Sprachübersetzungsprogramme, die Chatbots für das automatisierte Handling von einfachen Kundenanfragen oder die sogenannten Transformer-Modelle wie ChatGPT, die zur generativen künstlichen Intelligenz gehören, eine beeindruckende Performance in der Textanalyse und -synthese. In der Softwareentwicklung ist KI als Werkzeug bereits weit verbreitet: Microsoft gibt an, dass heute 58 Prozent des Softwarecodes, der in GitHub eingecheckt wird, vom integrierten Bot namens Copilot überprüft, kommentiert oder generiert wurde.

Wie gehen Unternehmen konkret vor, um mit KI einen Nutzen fürs Business zu erzielen?

Die Reise ins Zeitalter der künstlichen Intelligenz hat erst vor Kurzem begonnen und erhält mit der Entwicklung der generativen künstlichen Intelligenz weiter starken Auftrieb. Nun gilt es, praktische Erfahrung in Form von konkreten, aber nicht zu breit gesteckten Anwendungsfällen zu sammeln. Gute Ansätze, um geeignete Anwendungsfälle von KI zu finden, sind meist manuelle oder kostspielige Prozesse. Am wichtigsten ist aber, dass bei der Implementierung von KI die Business-Seite das Thema AI/ML nicht einseitig der IT überlässt. KI ist zu wichtig und hat zu grosse Implikationen auf alle Formen von Wissensarbeit, als dass es vom Business und von der Unternehmensleitung vernachlässigt werden dürfte. KI und ML können strategisch sehr wichtige Werkzeuge sein – und die Strategie ist schliesslich Chefsache.

Können Sie ein Beispiel nennen, inwiefern KI – im Besonderen generative KI – strategisch von Bedeutung sein kann?

Das ist ja das Bestechende an KI: Sie lässt sich sehr universell einsetzen. Einerseits bei der Digitalisierung des Betriebsmodells, also allen Prozessen, die es braucht, um Kunden zu gewinnen, einen Service zu erbringen und Bestandeskunden zu unterstützen. Konkrete Beispiele sind Anwendungen von Textanalyse (automatisiertes Bearbeiten von Rechnungen oder Schadensmeldungen), Textgenerierung (automatisiertes Erstellen von Austrittsberichten und Dokumentzusammenfassungen) oder Searchbots für HR-Themen bzw. Kundenverträge, die Resultate bequem und in beeindruckender Qualität in natürlicher Sprache zusammenfassen.

Anderseits bei der Gewinnung eines strategischen Wissensvorsprungs, der in der Regel darauf basiert, ein Prediction Model zu trainieren, mit dem sich etwa Produktetrends, der Bestelleingang oder der Erneuerungsbedarf von Infrastruktur so genau wie möglich vorhersagen lässt.

Worauf müssen Business-Entscheider achten, wenn sie KI in ihrem Unternehmen implementieren?

Hier gilt es zu unterscheiden zwischen der Nutzung eines bestehenden ML-Modells, das ein Anbieter bereits für seine Kunden trainiert hat – und einer Fragestellung, die ganz spezifisch für ein Unternehmen, eine Branche oder ein Land nützlich ist. Erst mit letzterer Spezialisierung gewinnt man ein nachhaltiges Alleinstellungsmerkmal und somit einen effektiven Wettbewerbsvorteil. Dabei gilt wie bei allen Datenanwendungen – egal ob ich ein Dashboard bauen oder ein ML-Modell trainieren möchte: Man muss zuerst die Hausaufgaben machen und eine verlässliche und automatisierte Datenplattform aufbauen.

Haben Schweizer Unternehmen und Business-Entscheider den Stellenwert von KI denn bereits erkannt?

Gemäss einer aktuellen Umfrage von Equinix möchten 80 Prozent der befragten Schweizer Unternehmen künstliche Intelligenz nutzen. Die Mehrheit davon bezweifelt allerdings, dass ihre Daten- und ihre IT-Infrastruktur dafür schon bereit sind. Es gibt also noch viel zu tun. Mit den neuen AI-Services wie ChatGPT und Google Gemini können Business-Entscheider aber gar nicht mehr anders, als sich intensiv mit dem Thema KI auseinanderzusetzen. Denn smarte Mitarbeitende in ihren Unternehmen nutzen diese längst in ihrer täglichen Arbeit und füttern die zugrundeliegenden ML-Modelle mit geschäftskritischen Daten.

Welche Unternehmen, welche Branchen profitieren am stärksten von KI? Gibt es Branchen, die das Potenzial noch relativ wenig nutzen?

Im Unterschied zu anderen IT-Trendthemen wie Blockchain oder Metaverse ist AI/ML universell anwendbar. So gesehen haben alle Branchen viel Luft nach oben. Wenn man Branchen mit besonders hohem Nutzen erwähnen möchte, würde ich Pharma, Finance sowie das Gesundheits- und Bildungswesen nennen.

Welche Anwendungen von GenAI sehen Sie im Moment am häufigsten in Schweizer Unternehmen?

Es gibt drei Anwendungsbereiche für GenAI, die eigentlich in jedem Unternehmen vorkommen. Analyse und Weiterverbreitung von unstrukturiertem Text (beispielsweise Lieferantenrechnungen, Schadenprotokolle oder Untersuchungsberichte), Generierung von Textdokumenten (zum Beispiel Zusammenfassungen oder Sitzungsprotokolle) sowie Conversational AI in Form von Chatbots oder unternehmensinternen, dialogischen Suchabfragen.

Unternehmen müssen sich bei der Implementierung von KI sowohl um die Beschaffung der Daten als auch um das Trainieren des Modells und die Interpretation der Resultate kümmern. Wo liegen die grössten Herausforderungen?

Ob sich so ein konkreter Anwendungsfall erfolgreich umsetzen lässt, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: Habe ich die dazu notwendigen Daten in der richtigen Qualität und genügend grosser Menge? Kann ich mit vernünftigem Aufwand ein Modell trainieren, das mit genügend hoher Genauigkeit und Validität die gewünschte Klassifizierung oder Prognose vornimmt?

Wie finden Business-Entscheider Antworten auf diese Fragen? Müssen sie die Nutzung von KI überhaupt im Detail kennen oder holt man sich dieses Know-how dazu, indem man etwa Data Scientists beschäftigt und externe Dienstleister wie Swisscom beauftragt?

So wie bei anderen Schlüsseltechnologien – zum Beispiel beim Cloud Computing – braucht meines Erachtens jeder künftig erfolgreiche Business-Entscheider eine solide AI-/ML-Wissensbasis – sei es nur schon, um die richtigen Fragen stellen und den Nutzen bzw. die Kosten besser abschätzen zu können. Ob dieses Know-how mittels eigener Data Engineers und -Scientists intern oder durch externe Consultants beschafft wird, liegt in der Präferenz des jeweiligen Unternehmens.

Welches Ausmass hat künstliche Intelligenz für Unternehmen? Ist sie «nur» als Erweiterung des Kerngeschäfts zu verstehen oder muss die gesamte Organisation darauf ausgerichtet werden – quasi als Umwandlung zum Data-Driven Business?

Wie bei allen grösseren technischen Disruptionen wird künstliche Intelligenz die gesamte Organisation betreffen, sodass es im Endausbau nicht reichen wird, in irgendeinem Geschäftsbereich ein neues Team aufzubauen. Irgendwo muss die Reise ins Zeitalter der künstlichen Intelligenz aber ja einmal beginnen – und hier kann ein dediziertes Team ein möglicher Startpunkt sein.

Wie begegnet man innerhalb des Unternehmens Skepsis und Ablehnung gegenüber KI?

Wir haben bisher ja vor allem über die verheissungsvolle neue AI-Welt gesprochen, aber selbstverständlich ist auch diese neue Technologie-Kategorie nicht problemfrei. Ganz im Gegenteil: Wichtige Technologie-Visionäre wie Elon Musk, Max Tegmark oder Geoffrey Hinton machen sich sogar ernsthafte Sorgen um die Zukunft der Menschheit. So hoch muss man als Entscheider in einem Schweizer Unternehmen nicht gerade greifen, aber wie bei den meisten Technologie-Trends wird es auch hier zu überzogenen Erwartungen und kostspieligen Übertreibungen kommen – ein Grund mehr, sich als Entscheider fundiert in das Thema einzuarbeiten.

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Erweiterte und aktualisierte Version des Interviews vom Juli 2023.

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