Schweizer Unternehmen gehören zu den Gewinnern der Digitalisierung. Auch wenn die Entwicklung international von grossen Konzernen geprägt wird, ist Schweizer Know-how gefragt. Das zeigen diese sechs KMU exemplarisch.
Die Digitalisierung verschlafen? Viele innovative kleine und mittlere Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen beweisen das Gegenteil. Denn der Schweizer Mittelstand profitiert davon, dass Hightech-Engineering und Präzisionsarbeit vermehrt gefragt sind. Das SECO (Staatssekretariat für Wirtschaft) bestätigt diesen Befund. Gemäss dem «Bericht über die zentralen Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft» ist die Schweiz gut aufgestellt, um sich im digitalen Strukturwandel zu behaupten.
Wie bei vielen Veränderungen, werden auch bei der Digitalisierung die Mutigen mit Wettbewerbsvorteilen belohnt. Diese sechs Unternehmen haben den digitalen Turnaround mit Bravour gemeistert.
Internet der Dinge: Keller AG für Druckmesstechnik
Das Internet der Dinge beginnt mit einem Sensor. Diese lapidare Tatsache bringt die Keller AG für Druckmesstechnik in die Pole-Position für die Messung und digitale Verarbeitung von Druckinformationen. Mit der Produktion von mehr als einer Million Drucksensoren pro Jahr hat sich das Winterthurer Unternehmen einen Namen gemacht. Inzwischen beschäftigt die Keller AG weltweit rund 400 Angestellte. Seitdem das Unternehmen 1974 gegründet wurde, hat sich die Welt stark verändert, doch indem die Keller AG schon früh auf den Zug der Digitalisierung aufgestiegen ist, hat das Unternehmen den Turnaround geschafft.
Blockchain im Medtech-Bereich: Safrima
Die Medizintechnik-Branche (Medtech) wird stark von der Digitalisierung durchgerüttelt. Denn die Branche ist gemäss Hansjörg Riedwyl, Mitgründer von Decomplix und CEO von ISS, diesbezüglich noch nicht sehr weit. Decomplix hilft neuen Medtech-Anbietern, die Hürden für den Markteintritt zu überwinden. Die Gründe für diese Situation sind vielfältig: «Einerseits, weil es der Branche lange zu gut ging, der Kostendruck war etwas geringer als anderswo, und andererseits, weil das regulatorische Korsett schnelle Änderungen in Prozessen nicht zulässt. Veränderungen sind kostspielig, Experimentieren ist schwierig», sagt Riedwyl.
Eine Ausnahme ist die Firma Safrima, die massgeschneiderte Produkte für die Medizinalindustrie fertigt. Das Unternehmen entwickelt eine Technologie zur Digitalisierung des regulatorischen Aufwandes bei der Einführung von neuen Medtech-Produkten. «Weil Hersteller von Medtech-Produkten verpflichtet sind, Qualitätsdaten lückenlos zu erfassen und zu archivieren, entsteht oft ein grosser Aufwand. Zudem sind bei manuellen oder herkömmlichen Datenübertragungen Fehler oder nachträgliche Änderungen möglich», sagt Safrima-CEO Heiner Eichenberger. Um diese Vorgänge effizienter zu gestalten, soll künftig die Blockchain zum Einsatz kommen. Mit der sogenannten MedTech Blockchain Platform (MBP) werden sämtliche erforderlichen Qualitätsdaten nachweisbar festgehalten und für alle Beteiligten transparent verfügbar gemacht, aber auch der operative Bestellabrufprozess zwischen Kunden und der gesamten Zulieferkette organisiert. Für Safrima führt die Digitalisierung also zu einer Optimierung der Prozesse.
Digitalisierte Haustechnik: Waldhauser + Hermann
«BIM» heisst das Schlagwort für die Digitalisierung in der Baubranche. BIM (Building Information Modeling) bedeutet, dass ein Gebäude zuerst virtuell am Computer entsteht, wobei sämtliche Mengenangaben für Baumaterialien bereits mitberechnet werden. Bei einer Planänderung werden diese Angaben automatisch aktualisiert, wodurch eine aufwändige manuelle Neuberechnung einzelner Leistungspositionen entfällt.
Für das auf Haustechnik spezialisierte Unternehmen Waldhauser + Hermann AG bedeutet BIM konkret, dass die gesamte Planung und die Durchführung von Projekten digitalisiert abgewickelt werden: Berechnungen in Energiemodellen, Simulationen oder die Abstimmung von internen Planungsprozessen werden mit BIM für alle Beteiligten zugänglich gemacht.
«Diese Arbeitsmethode macht die Planung von Projekten deutlich transparenter», sagt Marco Waldhauser, Mitinhaber und Vorsitzender der Geschäftsleitung der Waldhauser + Hermann AG. Dadurch, dass ganze Teams, aber auch externe Beteiligte wie etwa die Bauherrschaft ins System eingebunden werden können, steige die Planungsqualität. Waldhauser ist vom Ansatz überzeugt: «Vorteile zeigen sich etwa in 3D-Visualisierungen, bei denen planerische Kollisionen früh erkannt, übersichtlich angezeigt oder vermieden werden können. Beispielsweise können mit BIM auch Energiesimulationen bereits bei der Planung von Projekten in einem Masse durchgeführt werden, wie sie bei einer manuellen Arbeitsmethode kaum möglich wären.»
Digitalisierter Kundenservice: Meier Tobler AG
Statt die Servicetechniker bei gemeldeten Problemen vor Ort nach dem Rechten schauen zu lassen, setzt die auf Haustechnik und Wärmepumpen spezialisierte Meier Tobler AG (ehemals Walter Meier) auf Fernwartung und das Internet der Dinge. Die Wärmepumpen sind mit der Swisscom Cloud verbunden, sodass jederzeit Daten abgerufen und Fernwartungen gemacht werden können. Bei Störungsmeldungen können Ferndiagnostiker einen grossen Teil der Probleme übers Internet lösen. Die modernen Wärmepumpen sind hierzu mit entsprechenden Sensoren und einem Regler ausgestattet, die eine solche Fernsteuerung ermöglichen. Ein Ferndiagnostiker kann sogar Fehler feststellen, bevor die Kunden etwas davon mitbekommen – sprich, die Heizung ausfällt.
Mit der neuen Technologie entfallen keine Arbeitsstellen, im Gegenteil: Im Unternehmen wurden neue Stellenprofile geschaffen. Etwa den Ferndiagnostiker, eine Art Servicetechniker Innendienst. Ebenfalls neu gibt es den Diagnoseinformatiker. Er kennt sich mit Netzwerken und Protokollen aus und sorgt dafür, dass die Verbindung von der Wärmepumpe über die Analytics-Plattform bis zum Service-Dashboard des Ferndiagnostikers funktioniert. Den klassischen Servicetechniker gibt es auch weiterhin. Doch er muss nun erst dann zum Kunden fahren, wenn Hardware ausgetauscht werden muss.
Hochpräzis und automatisiert: FAES-PWR
FAES-PWR Estech AG hat schon vor Jahren damit begonnen, Fertigungsprozesse zu digitalisieren und zu automatisieren, und nimmt damit eine Vorreiterrolle ein. Das Unternehmen stellt hochpräzise Teile für die Raumfahrt, Aviatik, Medizinaltechnik und Maschinenbau in grossen Serien her.
Lieferanten, Produktion und Kunden sind digital vernetzt. «Das heisst, dass alle Maschinen, Messzellen, die Werkzeugausgabe, CNC-Programmierstationen sowie AVOR-Arbeitsplätze miteinander verbunden sind», sagt Andreas Kaufmann, Geschäftsführer bei FAES-PWR. Die Übersicht und die Führung der Prozesse erfolgt über selbstentwickelte Cockpits, die in ein SAP-System eingebunden sind und mit Echtzeitdaten arbeiten.
Zudem sind Kunden und Lieferanten direkt vernetzt. «Dadurch ist ein direkter Austausch möglich, zum Beispiel, wenn es um simultane Produktentwicklung, Model-based Design oder um Produktionsprozesssteuerungen mit Lieferanten geht», sagt Kaufmann. «Auf diese Weise kann mehr Flexibilität für kurzfristige Änderungen und Sonderwünsche von Kunden gewonnen werden.»
Dabei hat das Unternehmen nicht sein Geschäftsmodell grundlegend geändert, aber die Möglichkeiten der Digitalisierung intensiv genutzt.
Bei der Smartphone-Entwicklung vorne dabei: Noser Engineering AG
Die Digitalisierung als Kerngeschäft: Schweizer IT-Unternehmen waren von Anfang an dabei. So war etwa die Winterthurer Noser Engineering AG massgeblich an der Entwicklung des Smartphone-Betriebssystems Android beteiligt. Google setzte bei der Entwicklung einer iPhone-Konkurrenzplattform unter anderem auf das Know-how der Schweizer Firma.
Es geht jedoch längst nicht mehr nur um technische Abläufe, sagt Daniel Brüngger, Filialleiter Winterthur von Noser Engineering: «Heute werden nicht nur technisch-industrielle Prozesse automatisiert, sondern alle Unternehmensprozesse.»
Entsprechend ist das Unternehmen, das zur Noser Group gehört, heute auch in ganz anderen Bereichen tätig, etwa in Healthcare, in der Gebäudetechnik oder in der Software-Entwicklung im Automobilbereich. «Viele Firmen stehen unter Innovations- und Kostendruck und sehen in der digitalen Transformation ihre Chance. Dies hat bei uns zu einem Boom bei Consulting, Software-Entwicklung und Applikationsbetrieb geführt», beschreibt Brüngger diese Entwicklung. Auch Web-Applikationen und Mobile Apps sowie Virtual Reality gehören mittlerweile zum Portfolio, wie folgendes Video zeigt.
Nur Gewinner?
Es gibt sie also, die Unternehmen, die zu den Gewinnern der Digitalisierung gehören. Doch genauso mögen Schlagzeilen wie «Schweizer KMU verschlafen die Digitalisierung» auf einige Betriebe zutreffen. Noch sind fehlendes Digitalwissen und inexistente digitale Geschäftsmodelle weit verbreitet. Laut einer Umfrage des Beratungsunternehmens Crosswalk und der Universität St. Gallen haben die Unternehmen der Schweizer IT- und Telekom-Branche bezüglich der Digitalisierung eine gewisse Reife erreicht, aber in den Bereichen Detail- und Grosshandel, Transport und Logistik sowie in der Industrie scheint die Entwicklung noch nicht so weit zu sein.