Stetiger Wandel bestimmt die Gegenwart: Inmitten vielfältiger digitaler Möglichkeiten und zunehmend technischer Komplexität steuern Unternehmen durch die neuen Anforderungen der digitalen Transformation. Wie behalten Unternehmen in dieser Dynamik die Orientierung? Katrin Tschannen (CEO Migros Online) und Sonja Betschart (Co-Founder WeRobotics) erklären, worauf Digital Leader achten sollten und warum der Mensch dabei immer im Fokus steht.
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Die digitale Transformation verändert die Welt nachhaltig. Macht sie sie auch besser?
Katrin Tschannen: Ob die digitale Transformation die Welt tatsächlich besser macht, ist schwer zu sagen. Sie hat aber sicherlich das Potenzial, gesellschaftliche Entwicklungen positiv zu beeinflussen. Dank Apps kann ich zum Beispiel viele Aufgaben mit wenigen Klicks organisieren. Das unterstützt mich nicht nur in meinem Alltag, sondern kann auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern – was wiederum die Gleichstellung voranbringt. Gleichzeitig gibt es auch Menschen, denen aus verschiedenen Gründen der Zugang zur digitalen Technologie fehlt. Damit dieser Graben eher kleiner als grösser wird, müssen wir die Technologie nutzerfreundlich gestalten.
Sonja Betschart: Auch für mich bedeutet der Einsatz von Technologie neue Chancen. Sie verbindet Menschen auf der ganzen Welt, sie optimiert Prozesse. Dank ihr können wir bestehende Systeme hinterfragen, woraus Neues entsteht. So auch in der Unternehmenswelt.
Wie gehe ich als Unternehmen die Digitalisierung an?
Sonja Betschart: Indem ich die wirklich kritischen Fragen stelle. Ist mein Business-Modell noch zeitgemäss? Was muss ich ändern, um zukunftsfähig zu bleiben? Diese Reflexion ist die Basis, um ein Unternehmen weiterzuentwickeln. Dabei gilt: Technologie beeinflusst, aber letztlich prägt der Mensch mit seinen Entscheidungen und seiner Arbeit das Unternehmen.
Menschen und Technologie zusammenzubringen ist Aufgabe der Digital Leader. Was zeichnet diese Führungspersonen aus?
Katrin Tschannen: Digital Leader entwickeln Visionen für den künftigen Kurs ihres Unternehmens. Dabei gilt es zu eruieren, ob und welche Technologie es für mein Business-Modell braucht, denn Technologie muss ja einen Mehrwert bieten. Digital Leader sind sich übrigens bewusst: Menschen und ihre Skills sind wichtiger als die Technologie.
Wie meinen Sie das?
Katrin Tschannen: Es geht darum, die Mitarbeitenden so zu befähigen, dass sie eigenständige Entscheidungen treffen und Lösungen entwickeln können. In einer zunehmend spezialisierten Welt kann eine Führungsperson nicht mehr alles wissen. Daher liegt die Stärke eines*r Digital Leaders darin, Menschen mit dem passenden Knowhow zusammenzubringen, klare Rahmenbedingungen zu schaffen und sie dabei zu unterstützen, geeignete Tools zu finden und zu implementieren. Das führt zu flacheren Hierarchien und mehr Mitbestimmung.
Wie gehen Sie mit Menschen um, die neuen Technologien skeptisch gegenüberstehen?
Sonja Betschart: Kommunikation und Aufklärung sind der Schlüssel. Es ist wichtig, mit skeptischen Menschen das Gespräch zu suchen, ihre Bedenken ernst zu nehmen und ihre Perspektiven zu verstehen. Ich höre lieber zu, anstatt von meinen Ansichten zu überzeugen. Ich lerne so viel Neues, denn kritische Menschen können mir als Technologiefan auch deren Grenzen aufzeigen.
Kommunikation ist ein wichtiger Leadership-Skill. Eine Studie zeigt, dass Frauen in Führungspositionen in diesem Bereich besser abschneiden als ihre männlichen Kollegen. Sind Frauen also bessere Digital Leader?
Katrin Tschannen: Die Studie besagt, dass Männer tendenziell besser in direktiven Führungsmerkmalen und Frauen besser in den Bereichen Kommunikation und Kreativität abschneiden. Geht man also davon aus, könnte man die Frage bejahen. Aber letztlich geht es um die Fähigkeiten einer Person, nicht um ihr Geschlecht.
Dennoch sind Frauen in technischen Berufen und in Führungspositionen nach wie vor untervertreten. Wie schafft man den Wandel?
Sonja Betschart: Wandel gelingt, wenn die Vorteile der Diversität erkannt und gelebt werden. Diversität entsteht, wenn Menschen unabhängig von Geschlecht und Herkunft ihr Know-how und ihre Perspektiven in ein Team einbringen. Ich kann zwar das System nicht ändern, aber ich kann beeinflussen, wie mein Unternehmen funktioniert. Indem ich in meinem Einflussbereich handle, werde ich zum Vorbild für andere.
Was sind weitere Herausforderungen, auf die Digital Leader reagieren müssen?
Katrin Tschannen: Zu den grössten Gefahren zählen die Cyberangriffe. Es erfordert viel Energie, um die richtige Balance zu wahren, also Business Continuity sicherzustellen, ohne sich durch zu strikte Data Governance zu blockieren. Wer sich verändert, segelt immer in unsicheren Gewässern. Da hilft es, ein langfristiges Ziel zu haben und den Weg dorthin flexibel anzupassen.
Wie bleiben Sie persönlich flexibel?
Sonja Betschart: Durch regelmässige Selbstkritik und Anpassung der Arbeitsweise. Wir prüfen unsere Prozesse stetig, ob sie weiterhin effektiv sind. Dafür setzen wir uns «Pause and Reflect»-Momente. Diese planen wir regelmässig aktiv in die Arbeitswochen ein.
Ihr persönlicher Wunsch: In welche Richtung soll die technische Entwicklung in Zukunft gehen?
Sonja Betschart: Der Fokus muss stärker auf dem «Wer» und dem «Wie» statt auf dem «Was» liegen. Sprich: Die digitale Transformation muss sich auf den Menschen und die Art der Veränderung konzentrieren – nicht nur auf das neuste Tool.
Katrin Tschannen: Mich beschäftigt, dass die Nachhaltigkeit – obwohl sie in aller Munde ist – bei der digitalen Entwicklung in den Hintergrund rückt. Allein die Datenzentren verbrauchen enorm viel Energie. Technologie sollte nachhaltige Lösungen für aktuelle Probleme schaffen. Sonst fehlt uns die langfristige Perspektive.
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Die Interviewpartnerinnen
Katrin Tschannen und Sonja Betschart waren Referentinnen an der deutschsprachigen Augabe der Swisscom Business Days in Luzern.
Katrin Tschannen, CEO Migros Online
Katrin Tschannen ist seit März 2020 CEO von Migros Online (ehemals LeShop) und damit verantwortlich für rund 900 Mitarbeitende und 350 Millionen Umsatz. Ihre Leidenschaft für agile Leadership-Methoden und digitale Produktentwicklung entdeckte sie während ihrer vorherigen Tätigkeit im Category-Management und der Händleranbindung bei Digitec Galaxus. Davor leitete sie Strategie- und Change-Management-Projekte bei Concreda und war als Leiterin Ladengestaltung ebenfalls Mitglied der Spartenleitung von Micasa. Katrin Tschannen hat an der ETH Betriebs- und Produktionswissenschaften mit Vertiefung in Technologie- und Innovationsmanagement studiert.
Sonja Betschart, Co-Founder WeRobotics
Sonja Betschart ist leidenschaftliche Sozialunternehmerin, Ashoka Fellow und Teil der Forbes 50 über 50 Mitglieder, mit einer langjährigen Karriere sowohl im Non-Profit- als auch im For-Profit-Sektor. 2015 gründete sie WeRobotics mit. Die Organisation ist in über 40 afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern aktiv. Über das Flying Labs Network unterstützt WeRobotics lokale Expert*innen in den Drohnen-, Daten- und KI-Technologien und ermöglicht für ihre Gemeinschaften eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft. Sonja wurde 2022 in die Hall of Fame der Switzerland’s 100 Digital aufgenommen, 2023 zu einer der Top 100 Women in Social Enterprise gewählt und erhielt 2024 den Global Leadership Europe Award von Women in Tech.