Millennials, die mit digitalen Technologien gross geworden sind, stellen andere Ansprüche ans berufliche Umfeld. Was braucht es, damit Unternehmen vom Potenzial dieser Generation profitieren können? Vor allem ein Umdenken und den Mut, Verantwortung abzugeben, meint Dino Beerli, Berater für Innovation und Leadership des Impact Hub Bern.
Wer sind eigentlich diese Millennials?
Dino Beerli: Ob jemand zu den Millennials zählt, ist für mich weniger eine Altersfrage. Ich verstehe darunter Menschen, die mit digitaler Technologie aufgewachsen sind und ein anderes Mindset in sich tragen als die ältere Generation. Diese «digital Natives» kennen dieMöglichkeiten der Digitalisierung. Sie tragen den gesellschaftlichen Wandel in sich, den diese Technologien mit sich bringen. Millennials begreifen das als Möglichkeiten in alle Richtungen. Genau darum ist dieses Millennial-Phänomen derart spannend!
Was bedeutet das fürs Arbeitsleben?
Millennials müssen darin fit gemacht werden, die Zukunft der Wirtschaft selbst zu gestalten. Dazu braucht es Selbst- und Sozialkompetenz. Dazu gehört auch Selbstvertrauen aus der Erfahrung, dass es sich lohnt, an einer Sache dranzubleiben. Hier haben Millennials oft Nachholbedarf. Und für die Vernetzung mit Arbeitskollegen und Kunden ist Empathie wichtig, um sich aufs Gegenüber einlassen zu können. Dazu kommen klassische Methodenkenntnisse, etwa zu Projektmanagement oder Design Thinking. Und nicht zuletzt sollten Unternehmen Millennials Wertschätzung entgegenbringen.
Bei den «Soft Skills» besteht also Nachholbedarf. Wie können Millennials nun aber ihre Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Technologien in die Arbeitswelt einbringen?
Digital Natives fordern die Älteren heraus, sowohl Vorgesetzte wie Mitarbeiter. Denn Millennials suchen eine Sinnhaftigkeit in der Arbeit, die über das Materielle hinausgeht. Ihre materiellen Bedürfnisse wurden ja von Kindesbeinen an erfüllt.
Gleichzeitig erleben wir einen Umbruch in der Arbeitswelt. Die klassische Vollbeschäftigung, wie wir sie kennen, ist ein Auslaufmodell. In den USA arbeiten gemäss einer neueren Studie bereits 35 Prozent der Erwerbstätigen als Freelancer. Diese Haltung passt zu den Millennials. Sie sind intelligent und haben «Power». Sie wollen sich einbringen, aber nicht unterordnen.
Dann ist die Selbständigkeit also das Arbeitsmodell der Zukunft?
Nicht unbedingt. Selbständigkeit ist Knochenarbeit. Wenn die Millennials in Unternehmen die Umstände vorfinden würden, unter denen sie ihre «Power» einbringen könnten, wäre das für beide Seiten ein Gewinn. Doch leider sind viele Unternehmen noch nicht so weit. Sie sind hierarchisch organisiert statt in Rollenmodellen. Das wäre aber nötig, damit Millennials ihre Fähigkeiten entfalten könnten.
Wie müssten sich Unternehmen denn strukturieren?
Unternehmen stehen vor der Wahl, ob ihre Strukturen zukunftsfähig sind oder nicht. Denn gerade die gut gebildeten Millennials gehen wieder, wenn ihnen die Arbeitsumstände und vor allem die Haltung des «Chefs» nicht passen. Millennials zu führen heisst, ihnen zu ermöglichen, ihre Fähigkeiten einzubringen und die Vernetzung mit anderen Fachleuten zu fördern. Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen sich Mitarbeiter entfalten und entscheiden können. Der Ansatz mit rein hierarchischen Entscheidungswegen ist überholt.
Wie können solche Räume aussehen?
Unternehmen arbeiten oft projektorientiert, insbesondere auch grosse. Ein Projekt ist nichts anderes als ein Netzwerk von Experten, die in einem definierten Raum zusammenarbeiten. Idealerweise fungiert die Führung dabei als eine Art «Butler», der den Fachleuten organisatorische und administrative Hindernisse aus dem Weg räumt, damit sie weiterarbeiten können. Ein solcher Ansatz ist für Millennials ideal.
Der Wunsch nach persönlicher Entfaltung im Berufsleben ist nicht neu. Weshalb taucht diese Forderung gerade im Zusammenhang mit Millennials wieder auf?
Es stimmt, die Ansprüche der Millennials und auch der «Generation Y» enthalten einen tiefenpsychologischen Kern, der in uns allen steckt. Es geht darum, gemeinsam grosse Ziele zu erreichen, wobei jeder nach seinen Fähigkeiten eingesetzt wird und individuellen Spielraum geniesst. Ich hoffe, dass sich dieser Ansatz nun endlich in der Arbeitswelt etablieren kann. Denn die Jungen fordern das ein vom Management. Wenn man sich erfolgreiche Firmen anschaut, ist klassische hierarchische Führung ein Auslaufmodell.
Was zeichnet denn eine moderne Führung aus?
Eine moderne Führung zeichnet sich dadurch aus, dass sie Verantwortung nach unten delegieren kann und dadurch die Eigenverantwortung fördert. Wenn es nötig ist, können auch die «Untergebenen» führen. Modernes Management arbeitet nicht über Hierarchie, sondern mit Rollen, bei denen jeder seine Aufgaben und Verantwortlichkeiten hat. Ein sehr weit führendes Beispiel dafür ist das Holacracy-Modell.
Wie kann nun ein KMU einen solchen Wandel bewerkstelligen?
KMU sind aufgrund ihrer überschaubaren Grösse und der direkten Wege grundsätzlich besser aufgestellt für kulturelle Veränderungen als Grossunternehmen. Allerdings steht und fällt diese Fähigkeit mit der Haltung des Geschäftsführers oder Inhabers und seinem Führungsteam. KMU müssen einen für sie passenden Mittelweg finden zwischen Hierarchie und Modellen der Selbstorganisation. Millennials brauchen am Anfang vielleicht auch gewisse Strukturen, um ihre Freiheiten zielgerichtet einzubringen. Ein «guter Patron» kann da hilfreich sein.
Der Ruf nach mehr Eigenverantwortung ertönt oft von gut gebildeten Personen. Eignen sich solche Modelle also nur für Hochschulabsolventen?
Fürs eigenverantwortliche Arbeiten ist weniger der Bildungsgrad verantwortlich, als vielmehr die Erfahrung mit Eigenverantwortung. Eine Kindheit in einem «gemachten Nest» kann auch ein Nachteil sein. Wer nie gelernt hat, Verantwortung zu übernehmen, kann das mit guter Bildung alleine nicht kompensieren.
Es geht darum, die Millennials mitzuziehen, sie beispielsweise in ein Projekt einbetten und ihnen nach und nach zusätzliche Kompetenzen und Verantwortung zu übertragen.
Ich denke, Unternehmen sollten mit Millennials einen ähnlichen Ansatz wählen wie Eltern, wenn das Kind laufen lernt: Am Anfang an der Hand halten, aber wenn das Kind laufen kann, es auch laufen lassen und nicht «fürsorglich belagern».
Dino Beerli ist beim Impact Hub Bern für Corporate Programs & Consulting verantwortlich. Der Arbeitspsychologe, Unternehmensberater und passionerte Bergsteiger berät Firmen bei der Förderung von Innovation und einer zukunftsfähigen Führungskultur und ist sowohl im Start-up-Umfeld als auch für etablierte Unternehmen tätig.