Ein heisser Sonntag im ewz Kraftwerk in Selnau: Es ist der zweite Tag eines zweitägigen Hackathons – doch statt einer erschöpften Menge männlicher IT-Studenten sieht man aufgeweckte Frauen jeden Alters. Und ein paar Kinder, die auf dem Boden spielen. Eine ungewöhnliche und ruhige Atmosphäre für einen Hackathon. Ungewöhnlich auch, weil er speziell für Frauen konzipiert wurde – aber warum ist das notwendig?
Unternehmerinnen sind in der Technologiewelt unterrepräsentiert, besonders in den so genannten MINT-Bereichen. Das ist nichts Neues und eine Tatsache, die wir nicht leugnen können. Offen bleibt jedoch die Frage, ob und wie diese Problematik angegangen werden soll. So Manche könnten sogar so weit gehen und fragen, warum wir uns überhaupt die Mühe machen sollten.
Aleksandra Sokolowska und Diana Herrle von women ++, eine Schweizer Non-Profit-Organisation die sich für Vielfalt in der Technologiebranche einsetzt, haben eine klare Antwort auf diese Fragen. Nicht nur am Arbeitsplatz, allen voran im technischen Umfeld, haben sich vielfältige und integrative Teams als produktiver erwiesen. Sowohl die Schweizerische Bundesverwaltung als auch Organisationen und Unternehmen aus der Privatwirtschaft warnen ausserdem vor dem zunehmenden Fachkräftemangel, insbesondere in den MINT-Fächern (Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und Technik). Gemäss aktuellen Prognosen werden uns in zehn Jahren bereits eine halbe Million Fachkräfte in den jeweiligen Fachgebieten fehlen. women++ hat sich entschieden, dieses Problem anzugehen, indem sie das ungenutzte Potenzial von Frauen – und zwar sowohl die Frauen, die bereits in technischen Bereichen tätig sind wie auch diejenigen, die ihren Karriereweg ändern möchten – aufzeigt. So entstand die Idee des frauenfreundlichen Hackathons.
Einer der grössten Hackathons hat eine Umfrage mit einigen Dutzend Teilnehmern durchgeführt und kam zu interessanten Ergebnissen: Frauen nehmen Hackathons ganz anders wahr als Männer. Oftmals beteiligen sich Frauen nicht an Hackathons, da sie in der Regel Teil- oder sogar Vollzeit arbeiten und sich gleichzeitig um ihre Kinder kümmern. Vor allem über Nacht andauernde Hackathons, sind kaum mit der Familienrolle vereinbar. Hinzu kommt, dass Teilnehmerinnen in den meisten Fällen aus einer zu 90 Prozent aus Männern bestehenden Menge herausragen würden. Was oft dazu führt, dass Frauen das Gefühl haben, sich gegenüber ihren männlichen Mitstreitern stärker beweisen zu müssen – das kann einschüchtern. Es liegt an diesen Tatsachen, dass sich so viele Frauen, die in ihrer Freizeit oder beruflich als Programmiererinnen tätig sind, nicht für diese Art von Veranstaltungen anmelden. women++ hat versucht, diese Herausforderungen zu meistern, indem sie ein anderes Umfeld geschaffen haben: Mit dem sogenannten «Hack’n’Lead» entwarfen sie einen zweitägigen Hackathon, der jeweils von 8.00 bis 20.00 Uhr dauerte, damit die Teilnehmer zwischendurch nach Hause gehen konnten. Sie boten Kinderbetreuung und sogar Computerkurse für die Kleinen an. Sie organisierten eine Vorbereitungsveranstaltung, bei der die interessierten Teilnehmer sehen konnten, worum es beim Hackathon geht, was sie erwartet und was das Hauptziel des Hackathons ist: eine persönliche Lernerfahrung, ein Input und eine Inspiration, um einen nächsten Karriereschritt zu wagen oder den Berufspfad zu wechseln.
Herkömmliche Hackathons drehen sich meist um eine Challenge, die es zu gewinnen gilt. Das Hauptziel besteht für Teilnehmende darin, innerhalb von 72 Stunden selbständig eine sinnvolle Lösung für eine bestimmte Herausforderung zu finden. Verglichen dazu unterscheidet sich dieser Hackathon massgeblich von gewöhnlichen Hackathons. Dies macht auch Sinn, wenn man den Studienergebnissen Glauben schenkt, so Diana: «Frauen neigen dazu, den Erfolg eher der Teamarbeit zuzuschreiben als Männer und schätzen daher die Zusammenarbeit mehr als die reine Konkurrenz. Wir haben versucht, die Zusammenarbeit bei diesem Hackathon zu fördern, nicht nur zwischen den Teilnehmenden, sondern auch zwischen den Partnern, die gemeinsam eine Herausforderung zusammenstellten». Da neuartige Hackathons für Frauen nicht sehr verbreitet sind, mussten women++ viel Zeit und Energie aufwenden, um Teilnehmer und Sponsoren für die Veranstaltung zu gewinnen. Diana hält fest: «Auch für uns war es ein Lernprozess. Wir mussten herausfinden, welche Argumente wir auf welche Art und Weise aufzeigen müssen, damit sie für unsere Zielgruppe am attraktivsten sind. Am Ende haben wir es geschafft!»
Das haben sie. Wir haben eine Gruppe, bestehend aus fünf Personen (vier Frauen und ein Mann) mit unterschiedlichem Hintergrund, nach ihren bisherigen Erfahrungen gefragt. Laura Rettig, eine Datenwissenschaftlerin unter ihnen, interessierte sich für die Teilnahme, weil sie sich dafür begeistert mit Gleichgesinnten zu programmieren und sich auszutauschen. Sie fand das Konzept der Frauenfreundlichkeit sehr ansprechend: «In anderen Hackathons war die Atmosphäre einschüchternd. Ich hatte Angst, dass ich nicht mit allen Jungs mithalten und als Frau diskreditiert werden könnte. Es kostete weniger Überwindung, mich für diesen Hackathon anzumelden – ich habe das Gefühl, dass ich hier nicht mein Geschlecht vertrete. Wenn ich scheitere, scheitere ich als Person, nicht als Frau. Das ist weniger stressig.» Und wie ist es, als Mann an einem solchen Tech-Events in der Minderheit zu sein? «Um ehrlich zu sein, war ich mir zunächst nicht sicher, ob ich als Mann hier willkommen wäre. Diese Vorstellung änderte sich, als ich mit meiner Gruppe hierher kam – es ist grossartig, in einem so vielseitigen Team mit Menschen aus verschiedenen Bereichen zu arbeiten. Ich habe sogar das Gefühl, dass die Qualität des Endprodukts höher ist. Zum einen, weil man von der Vielfalt profitiert und zum anderen, weil ich das Gefühl habe, dass Frauen auf einem höheren Programmierniveau sind als Männer, wenn sie an so einem Event teilnehmen», antwortete Igor Susmelj, ETH-Student und «Hackathon-Veteran», der bereits an mehr als 10 Hackathons teilgenommen hat.
Bisher scheint das Konzept des frauenfreundlichen Hackathons zu funktionieren. Trotzdem ist der Hackathon nur ein Teil der Reise auf der women++ Frauen ermutigen wollen, in der Technologiebranche zu arbeiten oder Karrierewege zu wechseln. Um dies wirklich zu erreichen, ist viel mehr nötig: Regelmässige Networking-Veranstaltungen, Programmier-Workshops sowie karrierebezogene Weiterentwicklungen mittels Lebenslaufprüfungen oder Gehaltsverhandlungen. Dies sind Aktivitäten, die Frauen ermutigen und motivieren können in die Technik einzutauchen. «Unternehmen haben zwar erkannt, dass sie diesbezüglich handeln müssen, wissen aber nicht, wie sie dieses angehen sollen. Viele Unternehmen veranstalten einen Diversity-Event und sind der Überzeugung, dass dies bereits reicht, um entsprechende Interessierte anzuziehen. Stattdessen müssten sie eine langfristige Strategie verfolgen: Das Thema recherchieren, in Ausbildungen investieren und aktiv daran arbeiten, das Umfeld frauenfreundlicher zu gestalten! Das ist natürlich schwieriger zu realisieren, wenn das Top-Management nur aus Männern besteht», wie Aleksandra konstatiert. Neben regelmässigen Tech-Workshops und berufsbezogenen Schulungen hat women++ auch Partnerschaften mit Programmier-Bootcamps und Mentoren der Community, um ihre Ausbildung fortzusetzen. Auf lange Sicht soll dies zu einem vielfältigeren Arbeitsplatz in der Technologiebranche beitragen, und weitere Initiativen wie diese nachhaltig fördern.